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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
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Vorbereitungen zur Seite stehen«, versprach der König und deutete auf die junge Frau, die ihn vorher abgetrocknet hatte.
    Seshmosis war von Ariadne sehr angetan. Sie war sympathisch und hübsch und erinnerte ihn von der Ausstrahlung an seine beiden Rachels: die Rachel, die im Badehaus zu Theben als Handtuchhalterin gearbeitet hatte, und Rachel, die Tochter seines Schreiberkollegen Elias, die er in Jericho kennen gelernt hatte.
    Unvermittelt sprach ihn der König an: »Werter Seshmosis, wie ich höre, interessierst du dich für die alte Schrift unserer Insel.«
    Der Schreiber verbeugte sich tief vor dem Minos und antwortete ehrfürchtig: »Ja, durchaus. Ich bin Schreiber, und Sprachen faszinieren mich seit meiner Jugend.«
    »Leider kennen nur noch wenige die Bedeutung unserer alten Zeichen, da wir selbst seit langer Zeit schon eine andere, moderne Schrift verwenden. Im Augenblick ist mein weiser Berater Telos in Byblos unterwegs, um sich dort mit einem Experten unserer alten Schrift zu treffen. Daher wird dir zurzeit hier leider niemand bei deinen Studien weiterhelfen können.«
    Der König blickte ihn mit seinen weisen und wissenden Augen durchdringend an. Seshmosis wurde es siedend heiß. Wusste der Minos von dem Amulett, das sich in seinem Gepäck im Quartier befand? Schnell versuchte er das Thema zu wechseln.
    »Verzeiht meine Neugier, großer König, doch es gibt noch eine andere Frage, die schon lange in mir brennt.«
    »Nur zu, frag!«, forderte ihn der Herrscher auf.
    »Ich fand Euren Namen ›Minos‹ in den alten ägyptischen Archiven. Bereits zur Zeit der Hyksos-Pharaonen vor etlichen Generationen tauchte er auf. Nun darf ich Euch zu meinem Erstaunen hier leibhaftig begegnen. Seid Ihr unsterblich?«
    »Nein, keineswegs. So wie bei euch in Ägypten der König den Titel ›Pharao‹ trägt, so bin ich der ›Minos‹ meines Volkes. Das bedeutet, dass ich Herrscher und oberster Priester zugleich bin. Bevor man mich mit dieser Würde und Bürde bedachte, trug ich einen anderen Namen, doch der ist nur noch ein Schatten in dunkler Nacht. Ausgelöscht mit dem ›Trank des Vergessens‹ bei meiner Amtseinführung. Hinweggespült mein Name, meine Kindheit und Jugend, geraubt aus meinem Gedächtnis. Ab diesem Tag spielte die Person, die ich war, keine Rolle mehr, die Aufgabe ist alles: König, Minos und Sohn des Zeus, Liebling der Götter und Bewahrer der Tradition. Was bedeutet dagegen schon eines Menschen Glück? Doch gerade jetzt im Alter schmerzt es mich, dass ich vergaß, welcher Knabe und Jüngling ich war. Hat meine Mutter mich geliebt? Habe ich selbst geliebt? Und wenn ja, wen? Nach meiner Thronbesteigung musste man mir erzählen, dass ich mit Pasiphae verheiratet bin, weil ich sogar das vergessen hatte. Was gäbe ich für meine eigene Erinnerung!«
    Der König versank in Melancholie. Ariadne ergriff seine Hand und streichelte sie sanft. Glaukos reagierte sofort, erhob sich und erklärte die Audienz für beendet.
    Sichtlich berührt von der Offenheit und Verletzlichkeit des Königs, verließen die Tajarim den Thronsaal.
     
    *
     
    Gemächlich näherte sich Aram einem kleinen Bergbach; das Kalb folgte ihm in einigem Abstand. Da drang eine leise Melodie an sein Ohr. Verwundert sah er sich um, doch er konnte nirgends einen Spieler entdecken. Aram wanderte den Bachlauf entlang bergauf, und die Musik wurde deutlicher. Als er um einen Felsvorsprung bog, entdeckte er den Musikanten: ein Wesen, halb Mensch, halb Ziegenbock, am ganzen Körper behaart, zwei mächtige Hörner auf dem Kopf und Bocksfüße, die in Hufen endeten. Das Zwitterwesen saß unter einer Weide und blies mit geschlossenen Augen auf einer Flöte. Aram setzte sich vorsichtig ins Gras, um ja kein Geräusch zu verursachen, das den Spieler stören könnte. Das Kälbchen ließ sich ebenso lautlos neben dem Hirten nieder. Die fröhliche Melodie entführte Aram aus seiner bisherigen Welt, weit weg von Leben und Tod, Göttern und Gerichtsverhandlungen, sogar ganz weit weg von allen Badehäusern des Diesseits und des Jenseits. Die Töne trugen ihn in eine friedliche Sphäre, und auf einmal erschienen Nymphen, Satyrn und Silenen. Sie tanzten um das Goldene Kalb, um es zu begrüßen und ihm Ehre zu erweisen. Und sie tanzten um ihn, Aram, und sangen dabei ein Loblied auf den guten Hirten, der für sein Vieh sorgte und es liebte und hegte und pflegte. In diesem Augenblick spürte Aram, was Glück bedeutete. In dieses wohlige Gefühl gehüllt, schlief er

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