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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
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mein Vater wurde zum Minos erwählt. Sarpedon ging voll Zorn nach Lykien, und Rhadamanthys ließ sich grollend auf Thera nieder. Sie haben nie wieder einen Fuß auf kretischen Boden gesetzt. Mein Vater fühlte sich nun als Herrscher sicher und trieb den prächtigen Stier lieber zu seiner Herde, als ihn auf dem Altar schlachten zu lassen. Doch das erzürnte Poseidon, und zur Strafe ließ er meine Mutter Pasiphae in Liebe zu seinem Stier entbrennen. Tag und Nacht begehrte sie das göttliche Tier und überlegte, wie sie sich mit ihm vereinen könnte. Ich war damals zwölf Jahre alt und habe ihre Anfälle von Liebeswahn selbst erlebt. Wie oft lief sie liebestrunken zur Weide, um seine Nähe zu spüren, oder verzehrte sich weinend des Nachts in ihrem Gemach nach ihrem Geliebten. Schließlich bat sie Daedalos, den großen Baumeister und Erfinder, um Hilfe. Widerstrebend baute er ihr eine hölzerne Kuh auf Rädern, die er mit Fellen bespannte. Dann rollte er das Gestell auf die Weide des Stiers, und meine Mutter schlüpfte hinein. Der Stier besprang das Bildwerk wie eine echte Kuh, und Pasiphae schenkte daraufhin Asterion das Leben. Manche nennen ihn auch Minotaurus, also den ›Stier des Minos‹, weil er den Kopf eines Stieres und den Körper eines Menschen hat. Aber von meinem Vater Minos hat Asterion wirklich nichts.«
    »Und was geschah mit deinem Bruder weiter?«, fragte Seshmosis, um Ariadnes Gegenwart zu verlängern. Allerdings passierte dann etwas, was bei Seshmosis zum Blackout führte: Die Prinzessin nahm seine Hand. Ihre folgenden Worte versanken bei Seshmosis in einem Sturm heftiger Gefühle; lediglich einige Fetzen erreichten die Restfunktionen seines Gehirns – Labyrinth, Asterion, Daedalos, Kerker, Ikaros, Gefangene.
     
    *
     
    Aram genoss das leise Plätschern des Gebirgsbachs, als ihn ein Juchzen und Johlen aus seinen Gedanken riss. Verwundert blickte er um sich und staunte über das, was er sah: Pan saß auf dem Goldenen Kalb und tobte mit ihm über die steile Bergwiese.
    Aram beobachtete amüsiert das ausgelassene, lebenslustige Paar. Der Naturgott trug über seinen Schultern einen Umhang aus geflecktem Leopardenfell. Mit lautem Lachen und Rufen feuerte er das Kalb zu immer tolleren Kapriolen an. Das Stierlein schien ebenfalls Gefallen an der wilden Hatz zu haben. Dann sprang Pan mit den Füßen auf den Rücken des galoppierenden göttlichen Tiers und balancierte schließlich auf einem Bein. Zu guter Letzt machte der Hirtengott einen Handstand und sprang mit einer Drehung in der Luft ab. Aram applaudierte begeistert. Nach dem anstrengenden Ritt tätschelte Pan das Goldene Kalb am Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr, bevor er sich zu Aram setzte. Sobald er wieder zu Atem gekommen war, holte er aus seinem Lederbeutel eine kleine Flöte. Er legte sie flach an seine wulstigen Lippen und blies ein fröhliches Lied.
    Aram gefiel das Spiel, und er betrachtete das Musikinstrument genauer. Es bestand aus nichts anderem als sieben unterschiedlich langen, mit Grashalmen zusammengebundenen Schilfröhrchen. Nach einer Weile reichte Pan dem Hirten die Flöte, damit dieser sie ausprobieren konnte. Aram gelang es sofort, dem Instrument wunderbare melancholische Melodien zu entlocken, denn die Flöte des Pan war magisch. Während sich das Kälbchen, von den Tönen angelockt, zu ihnen gesellte, holte Pan einige Schilfröhrchen aus seinem Beutel und band sie zu einem neuen Instrument zusammen. Dann gab er es Aram mit den Worten: »Für dich! Diese Flöte funktioniert genauso wie meine eigene Syrinx. Von nun an werden dich die Tiere des Waldes und des Feldes als meinen Stellvertreter anerkennen. Ich kann Hilfe gut gebrauchen, weil ich viel unterwegs bin, und du hast die besten Voraussetzungen: einen lebendigen Geist, einen toten Körper und ein warmes Herz.«
    Aram war gerührt. Er, ein Untoter, der in Ägypten fast zum Gott aufgestiegen wäre, der aber furchtbar gescheitert und hierher verbannt worden war. Und nun ernannte ihn dieser lebensfrohe, kleine Hirtengott zu seinem Stellvertreter.
    »Ich danke Euch, großer Pan. Nie wurde mir eine größere Ehre und Freude zuteil.«
    Plötzlich wechselte Pan das Thema. »Ein alter Freund von dir weilt auf Kreta. Seshmosis, du solltest ihn besuchen.«
    »Seshmosis ist auf Kreta? Wurde auch er verbannt?«
    »Nein, er ist freiwillig hier. Nun, nicht ganz freiwillig, aber er glaubt es zumindest. Doch nun ist er in großer Gefahr, und du solltest ihn warnen.«
    »Wovor? Und wie

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