Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Stieren und heißt: Der Stierkämpfer war eine Dame.«
Mumal begann einen stampfenden Rhythmus zu trommeln, Elimas blies einen lang gezogenen, aufreizenden Ton auf seinem Shofarhorn, und El Vis sang:
Petrus, der Stier, war ein Mörder,
König im Ring der Kämpfer.
Er bedeckte den Boden mit tapfren Männern
und aß sie als Gehacktes zum Mahl.
Er hörte die Menge schreien: 0lé!
Doch an diesem Tag traf er auf seinen Meister.
Der Stierkämpfer war eine Dame,
und es war Liebe auf den ersten Blick.
Sie wedelte mit ihrem roten Tuch vor Petrus,
und dieser wollte nur noch bei ihr sein. Olé!
Petrus, der Stier, war hingerissen,
erstmals hatte ihn der Liebeskäfer gebissen.
Einst war er ein verrückter Stier,
ein wildes und ein böses Tier,
doch nun war er zahm wie ein Kätzchen.
Die Leute begannen zu pfeifen,
doch Petrus wollte nur küssen.
Der Stierkämpfer war eine Dame
und Petrus verliebte sich in sie.
Er schwebte auf Wolken mit einer Rose im Fell,
als er mit der süßen Dame tanzte.
Sein Schicksal war tragisch, seine Geschichte traurig.
Sein Schwanz hängt nun über ihrer Tür. Olé! 2
Als der letzte Trommelschlag verhallt war, brach das Publikum in Begeisterungsstürme aus. El Vis hatte die Herzen der Menschen gewonnen, und sie würden ihm an diesem Abend folgen, wohin er auch wollte. Und er führte sie mit seiner Musik weit in die Welt der Gefühle und Träume.
Selbst Seshmosis konnte für eine Weile seinen Liebeskummer und die dunklen Prophezeiungen vergessen. Nach dem Konzert strich er durch den mondbeschienenen Park in der Hoffnung, Ariadne zu begegnen. Plötzlich knackte es hinter ihm im Gebüsch. Verwundert blickte er sich um und sah direkt vor sich einen schwarzen Maskenhelm.
Dann verschwand der Mond und alles andere. Seshmosis sank zu Boden.
Im Labyrinth
Seshmosis erwachte mit einem Brummschädel. Er befand sich in einem vollkommen kahlen Raum, die Wände waren grob gemauert, und eine einsame Fackel verbreitete spärliches Licht. Er versuchte sich zu erinnern. Nachdem er die elementare Frage »Wer bin ich eigentlich?« geklärt hatte, wandte er sich weiterführenden Aspekten zu, wie: »Wo bin ich und warum?«
Bei diesen Überlegungen unterbrach ihn ein Mann, der plötzlich auftauchte.
»Entschuldigt bitte die Störung, aber ich dachte, Ihr seid das Essen.«
Seshmosis horchte erstaunt auf. Mit Essen hatte ihn noch nie jemand verwechselt. Er beschloss jedoch diesen Umstand zu ignorieren und zuerst herauszufinden, wo er sich befand. Deshalb fragte Seshmosis: »Wo bin ich?«
»Ah! Ihr seid anscheinend neu hier. Ihr befindet Euch im Labyrinth von Knossos.«
»Im Labyrinth? Im Gefängnis? Wie komme ich hierher?«, fragte Seshmosis entsetzt.
»Das solltet Ihr eigentlich selbst am besten wissen. Übrigens, ich bin Daedalos, Architekt und Erfinder«, stellte sich der Fremde vor.
Langsam kehrten Seshmosis' Erinnerungen zurück. Ariadne hatte ihm erzählt, dass Daedalos der Erbauer des Labyrinths sei. Des Labyrinths, in dem der schreckliche Minotaurus hauste. Furcht und Schrecken stiegen in Seshmosis hoch.
»Ich erinnere mich nur noch an einen Schlag auf den Kopf, sonst an nichts, an gar nichts.«
»Keine Gerichtsverhandlung? Das ist nicht vorschriftsmäßig, dann seid Ihr illegal hier«, stellte der Architekt seines eigenen Gefängnisses indigniert fest. »Wer seid Ihr überhaupt?«
Die Furcht in Seshmosis wich langsam dem Zorn. »Mein Name ist Seshmosis, und ich will wirklich nicht hier sein. Man hat mich entführt!«
»Beruhigt Euch!«, forderte ihn Daedalos auf. »Es ist nur so, dass manchmal irgendwelche dahergelaufenen achäischen Helden hier eindringen und versuchen, Asterion zu erschlagen. Das kann ich natürlich nicht dulden.«
»Sehe ich etwa aus wie ein Held?«, fragte Seshmosis und blickte dabei an sich herab. »Aber erklärt mir bitte, warum habt Ihr mich mit Essen verwechselt? Wolltet Ihr den Minotaurus mit mir füttern?«
»Asterion mag die Bezeichnung Minotaurus überhaupt nicht. Ihr solltet sie unbedingt vermeiden, wenn Ihr ihn trefft. Und was das Essen anbelangt: Die Wächter verstecken es jeden Tag an einer anderen Stelle, sodass wir danach suchen müssen.«
»Das ist ja Schikane!«, empörte sich Seshmosis.
»Nein, keineswegs, das ist ein gnädiger Akt von ihnen. Das bringt nicht nur Abwechslung in den langweiligen Alltag, sondern verschafft mir auch noch Bewegung. Jeden Tag die Aufgabe, im Labyrinth unser Essen zu
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