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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
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Schweigen. Ich glaube, er will wissen, ob ich noch lebe. Vielleicht weidet er sich auch an meinem Verfall und meiner Sterblichkeit, weil dadurch seine Göttlichkeit noch heller strahlt.«
    Seshmosis war klar: Der Minos litt eindeutig an Depressionen.
    »Ihr meint, er spricht nie ein Wort mit Euch?«
    »Doch, doch, anfangs zumindest schon. Es ging damals um meine Auseinandersetzung mit Poseidon. Zeus meinte, dass ich es nur ihm zu verdanken hätte, dass die Insel noch nicht im Meer versunken sei. Später redete er dann immer weniger. Ich glaube, er kommt auch nur noch, weil es Tradition ist. Wir bestehen doch alle fast nur noch aus hohlen Traditionen. Die Lebensfreude hat enorm abgenommen.«
    »Aber was vermisst Ihr denn in Eurem Leben, edler Minos? Ihr regiert über ein wunderschönes Land, Ihr wohnt im prächtigsten aller Paläste und seid mit vielen gesunden, gut aussehenden Kindern gesegnet.«
    »Denkst du, ich merke nicht, wie die Aasgeier bereits über mir kreisen? Wie sie hinter meinem Rücken um das Erbe feilschen? Ich bin zwar inzwischen ein wehleidiger Greis mit morschen Knochen, doch einen aufrechten Mann erkenne ich immer noch. Du bist so einer, Seshmosis, das spüre ich.«
    Seshmosis freute sich über das Lob des Alten.
    »Ich traue niemandem mehr außer Glaukos, Ariadne und meinem Freund Telos.«
    Der inzwischen auch schon tot ist, ergänzte Seshmosis in Gedanken, hütete sich jedoch, diesen auszusprechen.
    Minos fuhr fort: »Du musst wissen, einem Fremden wie dir traue ich inzwischen mehr als den Menschen meiner Umgebung. Mit dem Erben ist es immer das Gleiche. Einst waren Sarpedon, Rhadamanthys und ich wie Brüder. Doch als es um das Erbe des Königs ging, gab es nur noch Krieg. Von einem Augenblick auf den anderen waren wir Todfeinde. Mit meinen Kindern ist es nicht anders. Ich habe Glaukos als Nachfolger ausgewählt, weil er der fähigste von allen ist. Androgeos ist schon tot, ermordet in Athen; Katreus, der Älteste, ist ein raffgieriger Leuteschinder, und Deukalion spielt lieber Theater und mit den Knaben, als sich um Staatsgeschäfte zu kümmern. Aus meiner Sicht ist dies die beste Lösung, weil es für Glaukos göttliche Zeichen gibt.«
    Die Gedanken des Minos wanderten zurück und versetzten den König in die Vergangenheit.
     
    *
     
    Die Sonne Kretas stand brennend am Zenit, und jeder im Palast suchte den Schatten und die Kühle der Gemächer. Nur ein kleiner, abenteuerlustiger Knabe namens Glaukos erkundete unbeobachtet die Vorratskammern. Dabei entdeckte er einen Raum, gefüllt mit mannshohen Amphoren. Der süße Duft lockte den Jungen, und er erklomm eines der Gefäße und öffnete es. Keiner störte ihn beim Naschen, und keiner bemerkte, dass er das Übergewicht bekam und schreiend im Honig versank.
    Nach der Mittagsruhe entdeckte man das Verschwinden des kleinen Prinzen und suchte ihn überall, fand ihn jedoch nicht. Da befragte Minos das Orakel, und er erfuhr, dass nur ein Wahrsager den Knaben finden und auch wieder zum Leben erwecken könne. Zufälligerweise hielt sich gerade der Seher Polyidos im Palast von Knossos auf. Diesen befragte der König, und der Wahrsager offenbarte den Ort, wo bald darauf die Leiche des jungen Glaukos gefunden wurde. Unter lauten Klagerufen brachte man den Prinzen in den königlichen Grabbau. Der Minos erinnerte sich an den zweiten Teil des Orakels und sperrte Polyidos mit den Worten »Nun mach ihn wieder lebendig!« zu dem Jungen in die Gruft. Der Seher war ratlos. Plötzlich attackierte ihn eine Schlange, und Polyidos tötete das giftige Tier. Nach einer Weile erschien eine weitere Schlange. Diese griff jedoch nicht an, sondern hatte Kräuter im Maul, die sie ihrer toten Artgenossin in deren Maul schob. Bald darauf erwachte die Schlange zum Leben. Polyidos nahm einige der Kräuter und legte sie dem Knaben unter die Zunge. Wenig später begann Glaukos zu röcheln und zu husten, bis er schließlich die Augen aufschlug. Erleichtert klopfte Polyidos an das Tor der Grablege, um die Wächter zu rufen. Die eilten zum Minos, um ihm die frohe Kunde von der Erweckung seines Sohnes zu melden.
    Polyidos hätte wahrlich Dank und reiche Geschenke verdient gehabt, doch der Minos war weder mitfühlend noch milde. Ganz im Gegenteil, er suchte ständig rücksichtslos seinen Vorteil. So forderte er vom Seher, dass dieser Glaukos seine Kunst lehre. Wenn nicht, so drohte er Polyidos, sei sein Leben verwirkt. Zähneknirschend willigte Polyidos ein und vermittelte dem Knaben

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