Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Verfügung. Epeios, der aus Delphi in Phokien stammte, freute sich über die Abwechslung, einmal etwas anderes als Schiffe oder Palisaden zu reparieren. Neugierig fragte er El Vis, welchen Auftrag er für ihn habe.
El Vis bat Epeios: »Bau mir ein riesiges hölzernes Pferd. So groß, dass etliche Männer darin Platz finden. Und mit Rädern daran, damit man es bewegen kann. Ich brauche es als Bühnendekoration für mich und meine Musiker.«
*
Mit der freundlichen Hilfe einiger Passanten fragten sich Seshmosis und Nostr'tut-Amus zu dem Marktplatz durch, wo ihre Freunde Handel trieben. Raffim war sichtlich verärgert und schimpfte:
»Wo bleibt ihr denn so lange? Wir sind schon seit einer Stunde ausverkauft!«
Der Grund für Raffims Ärger war allerdings nicht das späte Eintreffen von Seshmosis und Nostr'tut-Amus, sondern der Assyrer, von dem sie den Stand gemietet hatten. Dieser weigerte sich nämlich hartnäckig, die von Raffim geforderte Rückerstattung wegen der kürzeren Nutzungsdauer zu leisten. Doch bevor der Dicke seine Wut weiter an Seshmosis und dem Seher auslassen konnte, erschien ein Trupp Soldaten.
»Wer von euch Krämerseelen ist Raffim?«, fragte der Anführer.
Barsil und Mani gingen sofort hinter dem Stand in Deckung, und auch Jabul, Jebul und Jubul gaben sich auffällig desinteressiert und rückten etwas von ihrem Dienstherrn ab. Der war es gewohnt, wegen seiner Geschäftsgepflogenheiten von der Obrigkeit in die Zange genommen zu werden, und ging deshalb in die Offensive.
»Ich bin Raffim! Warum wollt ihr das wissen? Meine Amulette sind alle von anerkannten, rechtmäßigen, lizenzierten und zertifizierten Priestern geweiht.«
»Es geht nicht um deine betrügerischen Amulette, es geht um dein Eisen, das du den Achäern für ihre Waffenschmieden geliefert hast!«
Zum Entsetzen der Tajarim packten zwei Soldaten Raffim grob an den Oberarmen und führten ihn ab, während sie den übrigen Tajarim zuriefen: »Und ihr verlasst augenblicklich die Stadt! Ihr seid auf immer aus Troja verbannt!«
Seshmosis versuchte zu protestieren. »Ich bin ein persönlicher Bekannter von Prinzessin Kassandra. Ihr könnt nicht einfach meinen Freund verhaften!«
»Das hilft ihm gar nichts! Er wird des Hochverrats beschuldigt!«
Entsetzt starrten die Tajarim den Kriegern nach, die den jammernden Raffim mit sich zerrten.
*
Angsterfüllt und tief betrübt kehrten die Tajarim zur Gublas Stolz zurück. Einerseits freuten sie sich, selbst der Gefahr vorerst entronnen zu sein, andererseits sorgten sie sich um einen der ihren.
Doch im Augenblick gab es keine Möglichkeit, Raffim zu helfen. Wie sollten sie auch, wo doch eine ganze Armee Achäer die Stadt seit zehn Jahren belagerte und nicht einnehmen konnte?
Selbst als Seshmosis im Schutz einer einsamen Ecke GON anflehte, bekam er keine Antwort. Er wusste nicht einmal, ob der kleine Gott noch im Ledersack oder wieder in seinem Schrein steckte. Der Schreiber ging zu seinem neuen Arbeitgeber Homeros. Doch auch der weise und erfahrene Dichter wusste keinen Rat, und so beschloss Seshmosis, dieses Problem vorerst zurückzustellen.
Um sich abzulenken, ließ er sich mit Homeros auf ein wunderbares Gespräch über die Schrift im Allgemeinen und ihre Entwicklung im Besonderen ein.
»Sieh, in deiner Sprache ist bei ein Wort, das Haus bedeutet, aber bei ist auch ein Buchstabe« erläuterte Homeros »Diesen haben wir übernommen und beta genannt, aber dass er auch Haus bedeutet, weiß bei uns kaum jemand. Und aus eurem lamäd, gesprochen el, wurde unser lambda. Wenn du in deiner Sprache bet-el schreibst, weiß jeder in deinem Volk, dass du das Haus Gottes meinst. Ein Achäer liest aber, wenn er denn überhaupt lesen kann, nur ein für ihn sinnloses bl. Ein absolut sinnloses bl.«
»Heureka!«, rief Seshmosis. »Du hast soeben ein neues Wort erfunden: Bl, besser Blabla, damit man es aussprechen kann.«
»Und was soll das bedeuten?«, fragte Homeros irritiert.
»Blabla bedeutet absolut sinnloses Zeug oder nichts sagend. Blabla ist absolut nichts sagend.«
»Absolut! Da hast du Recht. Mann, bin ich genial! Ich habe ja schon viele tolle Sachen geschrieben, ich denke da meine Redewendungen ›Geflügelte Worte‹, ›Rufer im Streit‹ und ›Unter Tränen lächeln‹, von ›Glorreich und süß ist das Sterben fürs Vaterland‹ ganz zu schweigen. Aber dieses Wort Blabla wird in die Geschichte eingehen und mich berühmt machen. Ich, Homeros, der Erfinder des Blabla.
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