Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
ihm in die Nase. Trotzdem näherte er sich neugierig dem einsamen Zelt, vor dem zwei Wachen standen, mit Schafwollbüscheln in den Ohren und Stoffbinden vor Mund und Nase. Elimas kannte die beiden, sie waren bei GONs Wirken am Strand dabei gewesen.
Auf seine Frage teilten sie Elimas mit, dass der Mann, der einst den Scheiterhaufen beim Begräbnis des großen Herakles entzündet hatte, unter furchtbaren Schmerzen als Folge eines Schlangenbisses litt und dass selbst der berühmte Arzt Podaleirios, der sich gerade bei ihm im Zelt befand, ihm wohl nicht helfen könne.
Als Schaf- und Ziegenhirte verfügte Elimas über profunde medizinische Kenntnisse. Auch seine Fähigkeiten als Geburtshelfer waren schon mehr als einer Schwangeren zugute gekommen. Elimas sagte immer: »Ob Lämmlein, Zicklein oder Menschlein, bei der Geburt sind alle gleich.«
Elimas hatte viel Erfahrung mit Schlangenbissen bei seinen Schafen und Ziegen sammeln können und bot sich an, nach Philoktetes zu sehen. Da der Arzt keinen Rat mehr wusste, ließ Podaleirios den Fremden gewähren.
Elimas betrachtete lange schweigend den Patienten, der intensive Geruch störte ihn als Hirten nicht. Dann griff er zu seinem Shofarhorn und blies mit geschlossenen Augen einen langen klagenden Ton. Als er das Horn wieder abgesetzt hatte, fragte ihn Podaleirios beeindruckt: »Ist das semitische schwarze Magie?«
»Nein, keine Magie. Ich rufe nur meinen Freund Mumal, damit er mir meinen Beutel mit der Schafssalbe bringt.«
Kurz darauf traf Mumal beim Zelt ein und übergab Elimas den Medizinbeutel. Ohne sich vom Geschrei des Patienten stören zu lassen, behandelte er souverän das Bein von Philoktetes.
Bewundernd bemerkte Podaleirios, wie Elimas in dieser mehr als schwierigen Situation und bei diesem Lärm so konzentriert die Wunde versorgen konnte.
»Wenn du jemals eine wehleidige Ziege verarztet hast, stört dich das Geschrei eines Menschen überhaupt nicht mehr.«
Nach kurzer Zeit schon beruhigte sich Philoktetes, und seine schmerzverzerrten Gesichtszüge entspannten sich. Dann fiel er in einen tiefen Schlaf.
»Deine Salbe muss von den Göttern selbst stammen!«, rief Podaleirios ehrfürchtig.
»Eigentlich nicht. Zumindest ist mir nicht bekannt, ob mein Großvater ein Gott war«, entgegnete Elimas schmunzelnd. »Aber die Salbe wirkt bei Schlangenbissen immer. Das Gegengift braucht einige Zeit, der Lotos darin lindert die Schmerzen jedoch sofort und macht den Patienten dämmrig. Und gebt eurem Freund dreimal täglich einen großen Becher Ziegenmilch, damit er wieder zu Kräften kommt«, verordnete der Hirtenarzt noch und verabschiedete sich von den staunenden Achäern.
*
Die Anführer der Achäer staunten, als Philoktetes nach wenigen Tagen völlig gesundet, gleichsam vom Tode auferstanden, bei der Lagebesprechung erschien.
»Podaleirios und den Göttern sei Dank!«, rief Agamemnon.
Doch der Genesene widersprach: »Es war ein semitischer Ziegenhirte, der mich vom Pestgestank und den unmenschlichen Schmerzen befreite. Elimas ist sein Name, und seine Heilkünste erlernte er im geheimnisvollen Land der Pharaonen.«
»So sei uns wieder willkommen in unseren Reihen, edler Philoktetes. Ich hoffe, du hegst nicht länger Groll gegen uns, denn wir bedürfen deiner Hilfe!«, begrüßte ihn Agamemnon. »Die Götter haben uns für unsere schändliche Tat an dir genug bestraft und uns ihren Zorn spüren lassen. Nimm bitte unsere Geschenke an, mit denen wir dich um Verzeihung bitten: sieben trojanische Jungfrauen, zwanzig edle Rosse und zwölf Dreifüße. Labe dein Herz daran und beziehe dein eigenes Zelt, das wir für dich vorbereitet haben. Auch wird dir Medon deine Truppen zurückgeben, die ihn so treu und tapfer in den Kampf begleitet haben.«
Philoktetes war gerührt, und die Freude über die Genesung und die Tatsache, dass er nach fast einem Jahrzehnt Einsamkeit wieder unter seinesgleichen weilen durfte, besänftigten seinen Zorn und Hader.
»Da du mich so reich beschenkst und mir sicher auch einen guten Anteil der Beute überlassen wirst, nehme ich freudig deine Entschuldigung an und reihe mich ab sofort wieder in die Phalanx der glorreichen Achäer ein.«
*
Seshmosis studierte aufmerksam das Epos »Der Groll des Achilleus«. Er kämpfte sich gerade im »Zweiten Gesang« durch endlose, verwirrende Aufzählungen von Namen und Zahlen von Schiffen und Männern.
»Verzeih, mein lieber Homeros, mir scheint, diese Listen lassen dein Werk doch etwas
Weitere Kostenlose Bücher