Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
beschlossen hatte, von nun an allein durch die Welt zu ziehen.
»Ich habe es ihm nicht übel genommen. Manchmal braucht man Zeit für sich allein. Außerdem kommt er ja immer wieder. Obwohl ich ständig weiterziehe, weiß er irgendwie immer, wo er mich finden kann.« Er sah sie nachdenklich an. »Weißt du, er ist wie ein Sohn …«
Ein paar Tage später erzählte Georges Catalina beim Abendessen, was genau man Mikels Vater vorgeworfen hatte: Er hatte Bücher über den protestantischen Glauben gelesen.
»Und nur deswegen hat man ihn verbrannt?«
Georges nickte. »So mancher hat schon für weniger sein Leben lassen müssen.« Er warf ihr einen raschen Blick zu, als wäge er ab, ob er ihr das Folgende wirklich erzählen sollte, und sprach dann eindringlich weiter. »Denk an unsere Jeanne d’Arc. 1429 hat sie Orléans von den verfluchten Engländern befreit, ein Jahr später ist sie in ihre Hände gefallen. Sie haben unsere Jungfrau in einen Eisenkäfig gesteckt, sie an Hals, Füßen und Händen an einen schweren Block gekettet und sie wie einen Schwerverbrecher von fünf Kriegsknechten bewachen lassen. Sechzig Geistliche waren bei dem Inquisitionsgericht zugegen, drei Monate lang haben sie die Arme Tag für Tag, Nacht für Nacht verhört. Als Hexe haben sie das Kind bezeichnet, weil es dank irgendwelcher Stimmen, die es gehört hatte, unser schönes Orléans gerettet hat. Aber wirklich das Genick gebrochen hat Jeanne ihr Aufzug: diese skandalöse Männerkleidung, die sie ständig getragen hat, und die Haare, die sie nach Art der Sklaventreiber immer ganz kurz geschnitten hatte. Nur eine vom Teufel Besessene würde sich so zurechtmachen, war die Ansicht der Geistlichen, und so haben sie Jeanne zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.«
»Sie kam für das Tragen von …« Catalina versagte die Stimme; sie tastete nach ihrem fingerlangen Haar.
Georges musterte sie schweigend. Dann stocherte er mit einem Stock in der Glut, bis das Feuer wieder aufloderte, und wiederholte, was er auch vor ein paar Wochen schon einmal gesagt hatte: »Nur wenn man weiß, wie ein Wolf aussieht, kann man sich vor ihm in Acht nehmen!«, und sah sie dabei ebenso ernst wie nachdrücklich an. Catalina wurde bewusst, dass er sie durchschaut hatte. Sie musste wieder an Jeanne und ihren Tod auf dem Scheiterhaufen denken und stürzte in die Büsche.
»Schade um das schöne Ragout«, murmelte Georges.
In den nächsten Tagen verrichtete Catalina ihre Arbeit schweigsam und in sich gekehrt. Die Geschichte von Jeanne ging ihr nach. Natürlich hatte sie geahnt, dass das Tragen von Jungenkleidern nicht ganz korrekt war, aber dass es ein so schreckliches Verbrechen sein könnte, dass man sie dafür auf den Scheiterhaufen bringen würde, hatte sie nicht gedacht. Nacht für Nacht überfielen sie im Traum Bilder von brennenden Körpern, und auch wenn Georges kein Wort über ihre nächtlichen Schreie verlor, war ihr doch klar, dass ihm ihre Albträume nicht verborgen bleiben konnten, und gerade die Tatsache, dass er kein Wort darüber verlor, zeigte ihr, dass er ihr nicht zufällig von Jeanne erzählt hatte. Auf einmal schien Catalina ihr Leben nur noch ein einziges Wagnis zu sein. So wie Georges würden eines Tages auch andere hinter ihr Versteckspiel kommen, und die würden sicherlich nicht beide Augen zudrücken, sondern sie der kirchlichen Gerichtsbarkeit zuführen. Dann würde sie enden wie Mikels Mutter. Wenn sie Glück hatte. Ansonsten wie Mikels Vater. Und Jeanne.
Noch Wochen später litt Catalina unter Albträumen. Immer wieder erwog sie, Georges zu verlassen und sich doch lieber als Mädchen durchzuschlagen, aber dann musste sie an das Schankmädchen in der Taverne in Pamplona denken und an diese Frau im Unterrock, die ihrem Freier nachgelaufen war. Würde sie nicht zwangsläufig wie diese enden, wenn sie ihre Jungentarnung aufgab? Selbst über eine Rückkehr ins Kloster dachte Catalina nach, fand aber, dass dies auch nicht besser als der Tod sei – womit ihr als letzte Alternative nur noch ihre Familie blieb. Mit ihrer Unterstützung hätte sie sicher eine bessere Stelle denn als Schankmädchen finden können. Vielleicht, wenn sie ihre Mutter bat … Immerhin war eine Cousine ihrer Mutter auch unverheiratet geblieben. Den Grund dafür wusste Catalina nicht, nur, dass sie bei ihrer Schwester lebte und deren Kinder betreute. Kinder, nun, die würde man ihr nach all dem sicher nicht anvertrauen, aber irgendetwas musste es doch geben, wo
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