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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wusste, wenn ich versuchte, auch nur ein Wort zu sagen, würden die Tränen kommen, also wandte ich mich ab und erfüllte ihm seine Bitte. Ich schürte das Feuer, das in der Nacht ausgegangen war, suchte Unterkleidung und Tücher aus den Truhen der Schmuggler und brachte alles zu Jacob. Am ganzen Körper zitternd stand er neben seiner Strohmatratze, zog sich gerade Hemd und Hose aus. Er sah mich und wandte sich ab.
    Im ersten Moment dachte ich, er würde das aus Anstand tun, doch dann kehrte die Kälte in meinen Magen zurück wie ein eisiger Fluss, der durch einen Damm bricht.
    »Dreh dich um«, sagte ich.
    Er blieb reglos stehen.
    »Jacob, bitte.« Meine Stimme zitterte.
    Er zögerte, beinahe so, als würde er sich schämen. Als er sich endlich umdrehte, hielt er den Kopf gesenkt und knetete sein Hemd zwischen den Fingern. An seinem Hals sah ich eine Beule, dunkel und so groß wie das Ei einer Taube. Ich starrte schweigend darauf, unfähig, etwas zu sagen oder zu denken.
    »Ein Vielleicht gibt es jetzt wohl nicht mehr«, sagte Jacob leise.
    Paul erfuhr es als Erster. Er sah mich mit an die Brust gezogenen Knien vor Jacobs Schlafkammer sitzen und warf einen Blick hinein. Vielleicht war es Jacobs Anblick, der ihn die richtige Schlussfolgerung ziehen ließ, vielleicht mein verheultes, tränennasses Gesicht. Jedenfalls stürmte er ohne ein weiteres Wort ins sogenannte Herrenhaus.
    Innerhalb kürzester Zeit füllte sich die Höhle. Alle redeten durcheinander, schrien, schimpften, fluchten.
    »Wir müssen ihn rausbringen«, sagte Georg mehr als ein Dutzend Mal, und ebenso oft antwortete Paul: »Dann mach es, aber ich helfe dir nicht.«
    Femeke redete auf ihre Kinder ein, und mit sich überschlagender Stimme befahl sie ihnen, nicht zu Jacob zu gehen und die Katze, die sie mit in die Höhle gebracht hatten, zu finden und zu erschlagen. Das Mädchen weinte.
    Ich saß da, den Schmugglern den Rücken zugedreht, und beobachtete Jacob. Er versuchte, sein Fieber mit kalten Umschlägen zu senken, aber die roten Flecken in seinem Gesicht und die dunklen Schweißränder auf seinem frischen Unterkleid verrieten mir, dass es ihm nicht gelang. Zwischendurch schlief er immer wieder ein, träumte wild und offenbar schlecht. Wenn er aufwachte, sprach ich ihn an, sagte ihm, er solle trinken oder frische Umschläge auf seine Stirn legen. Mit jedem Mal wurden seine Bewegungen fahriger.
    Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst, dachte ich. Nicht ausgerechnet du.
    Stoff raschelte. Ich sah auf, als Richard neben mir in die Hocke ging. Jacob war bereits wieder eingeschlafen und bemerkte ihn nicht.
    »Wie geht’s ihm?«
    »Schlecht.«
    Richard räusperte sich. »Du solltest zu uns kommen, damit wir besprechen können, was jetzt zu tun ist.«
    »Ich weiß, was ihr wollt. Ihr wollt ihn rausschaffen und irgendwo hinwerfen wie einen Kadaver.« Ich drehte den Kopf und sah ihn an. In mir war kein Ärger, keine Angst, nur Entschlossenheit; sie verlieh meiner Stimme einen ruhigen Klang. »Jacob bleibt hier. Ich werde alles tun, um sein Leben zu retten, und jeder, der mich daran hindern will, wird bekommen, was er verdient, das schwöre ich beim Heiland.«
    Auch Richard blieb ganz ruhig. »Gut«, sagte er nur, dann stand er auf und ging zurück zu den Schmugglern. Wenig später gingen sie alle und verschwanden in die andere Höhle, ins Herrenhaus. Ich nahm an, dass ich nicht hören sollte, worüber sie sprachen.
    Jacob stöhnte und richtete sich auf. Sein Blick war glasig, die Augen waren weit aufgerissen. Einen Moment saß er so da, dann tastete er plötzlich nach seinem Hals, stöhnte auf und warf sich auf die andere Seite. Er hatte Schmerzen.
    Mir fielen die Kräuter ein, die ich mitgebracht hatte, um Paul zu helfen. Mutter hatte sie immer nur bei entzündeten offenen Wunden verwendet, aber etwas anderes hatte ich nicht.
    Der Klostergarten ist voll davon, dachte ich, während ich aufstand und den Beutel aus meiner Schlafkammer holte. Es waren kaum noch welche darin, ich hatte fast alle für Pauls Umschläge verbraucht.
    Leise schlich ich mich zu Jacob und nahm die Schüssel, in die er die nassen Tücher geworfen hatte. Ich schöpfte ein wenig Wasser aus dem Kessel über der Feuerstelle und begann, einen Sud anzurühren. Als er fertig war, tunkte ich eines der Tücher hinein, ging zurück zu Jacob und blieb neben seinem Lager stehen. Er drehte mir den Rücken zu. Die Beule an seinem Hals knapp unterhalb des Ohrs war deutlich zu sehen. Man hätte sie

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