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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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kennenzulernen. Ich habe so viel über ihn gehört. Ich bat Erasmus, mich ein paar Wochen gehen zu lassen, damit ich ihn aufsuchen konnte, aber er lehnte ab.«
    »Also bist du ohne seine Erlaubnis gegangen.«
    »Es war die einzige Möglichkeit. Du hast mir die Idee in den Kopf gesetzt, als du von Konstantinopel sprachst. Ich musste es einfach.«
    Ich schwieg einen Moment, dann nickte ich. »Du hattest recht, ich hätte wirklich versucht, dich aufzuhalten. Du hast deine Lehre abgebrochen. All das Geld, was deine Eltern für dich ausgegeben haben, war umsonst.«
    »Nein, das war es nicht.« Jacob ergriff meine Hand. »Abdullah hat mich wegen dieser Lehre aufgenommen. Ich durfte Tinkturen für ihn mischen und ihm bei der Behandlung von Kranken helfen.« Er deutete mit dem Kinn auf den Lederrucksack, der neben ihm stand. »Darin sind meine Unterlagen. Ich durfte alles aufschreiben, was er tat. Der Wert dieser Pergamente ist nicht mit Gold aufzuwiegen.« Er atmete tief durch. »Abdullah hat mir angeboten, meine Lehre bei ihm fortzusetzen. Wenn er aus Maastricht abreist, will er mich mitnehmen nach Konstantinopel. Ich bin nur zurückgekommen, um dich zu holen.« Er zögerte. »Wenn du das möchtest.«
    Konstantinopel. Mein Ärger war wie weggeblasen. Es kam mir so vor, als hätte alles, was ich bisher hatte erdulden müssen, alles, was mir widerfahren war, nur diesem einen Ziel gedient, als wäre mein ganzes bisheriges Leben nur auf diesen Moment hinausgelaufen. Ich wollte »Ja!« sagen, ihn bei der Hand nehmen und loslaufen, bis wir vor den Toren dieses Konstantinopels standen, wo auch immer das war.
    Stattdessen wich ich der Antwort aus, erzählte ihm stattdessen, was während seiner Abwesenheit geschehen war, und unter welchem Verdacht ich stand. Die Ehrlichkeit, die Jacob mir nicht gewährt hatte, gab ich nun ihm.
    Er fuhr sich mehrfach mit der Hand durch die Haare, während ich sprach. Er hatte wohl niemals gegen ein Gesetz verstoßen und war auch nie nur in einen entsprechenden Verdacht geraten. Zu hören, dass man mich des Mordes und der Hexerei beschuldigte, entsetzte ihn sichtlich.
    »Außer dir wissen nur Richard und Czyne, dass ich jene Ketlin bin, nach der man sucht«, sagte ich zum Schluss.
    »Mein Gott.« Jacob blinzelte. Mit ernstem, fast schon traurigem Gesichtsausdruck musterte er mich. Doch plötzlich lächelte er. »Dann sollten wir die Stadt umso schneller verlassen.« Er sah mir meine Erleichterung offenbar an, denn er schüttelte, immer noch lächelnd, den Kopf.
    »Hast du wirklich gedacht, ich würde glauben, dass du eine Nonne umgebracht und eine Frau in den Selbstmord getrieben hast? Ketlin, ich kenne dich«, meinte er noch.
    Ich drückte seine Hand und beugte mich vor, um ihn zu küssen, aber Jacob stand im gleichen Moment auf und gähnte. »Es war eine lange Reise. Meinst du, ich kann deine Freunde bitten, mich für eine Nacht aufzunehmen?«
    »Natürlich. Die Schlafstätte neben meiner wird nicht benutzt.« Ich stand ebenfalls auf. Sein abrupter Themenwechsel verwirrte mich. »Ich hole dir eine Decke.«
    »Lieber zwei. Es ist recht kalt hier unten.«
    Ich kam seiner Bitte nach. Nachdem ich mit Richard und Czyne gesprochen hatte, kehrte ich mit zwei Decken zu ihm zurück. Jacob hatte sich bereits die Stiefel ausgezogen und begann sein Hemd aufzuschnüren. Ich blieb neben dem geöffneten Vorhang stehen. »Ich könnte bei dir bleiben«, sagte ich leise. »Es würde niemanden hier stören.«
    Er gähnte erneut. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie verlockend das klingt«, antwortete er ebenso leise. »Aber ich möchte wirklich nur schlafen.«
    Er legte sich auf die Strohmatratze und zog die Decken über sich. Bis auf Stiefel, Umhang und Weste hatte er sich nicht ausgezogen. Er schloss die Augen, noch während ich in seinem Verschlag hockte. Ich hatte ihn noch nie so müde gesehen.
    »Gute Nacht«, sagte ich.
    Die anderen saßen bereits am Tisch, als ich zu ihnen ging. Ich war noch in der Herrenhaus-Höhle gewesen und hatte mich wieder umgezogen.
    Dythmar musste an diesem Tag kochen, und wie immer waren die Portionen groß und die Speisen fad. Ich aß ein wenig aus einer der großen Schüsseln, dann legte ich den Löffel weg.
    »Geht es Jacob gut?«, fragte Richard unvermittelt. Wir saßen uns gegenüber. Um uns herum gingen die Unterhaltungen weiter.
    »Er ist müde von der Reise«, sagte ich, doch in meinen eigenen Ohren klang es wie eine Lüge. »Morgen geht es ihm bestimmt schon wieder

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