Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
weiß ja nicht, ob ich’s so weit kommen lassen will.« Hans trat von einem Fuß auf den anderen. Er sprach nicht gern, wenn viele zuhörten. »Also, ich meine, wenn sie Kinder stehlen und so, dann …«
    Er ließ den Satz im Nichts enden.
    Josef zeigte auf ihn. »Da hört ihr es. Wollt ihr wirklich zusehen, wie sie sich hier ausbreiten, bis es zu spät ist?«
    Ich spürte, wie die Stimmung umschlug. Mutter schüttelte den Kopf, aber nicht kämpferisch, sondern geschlagen. Jupp steckte die Hände in seinen Umhang und wandte sich ab. »Das ist unchristlich«, sagte er, aber niemand ging auf seine Worte ein.
    Josef setzte sich wieder und wartete, bis Knut den Schemel erneut unter seine Füße geschoben hatte, bevor er weitersprach. »Dann ist es beschlossen. Morgen früh verjage ich sie von der Allmende. Das ist unser Land, und sie haben nichts darauf zu suchen. Adalbert und Hans werden mich begleiten.«
    Knut wirkte enttäuscht. Sein Vater nahm ihn nie mit, wenn er etwas Wichtiges zu erledigen hatte. Er schämte sich für seinen ältesten Sohn, was jeder im Dorf, außer Knut selbst, wusste.
    Die Versammlung löste sich nach und nach auf. Frauen, die Haare unter Umhängen und Gugeln verborgen, gingen an mir vorbei.
    Erika, die Älteste im Dorf, blieb neben mir stehen. Ihr Kopf wackelte auf ihrem dünnen faltigen Hals. »Deine Mutter sollte sich nicht in die Belange von Männern einmischen«, sagte sie leise. »Das sieht niemand gern. Sag ihr das bitte.«
    Im ersten Moment wollte ich widersprechen, dann nickte ich nur und wandte mich ab. Meine Gedanken kreisten um die Idee, die ich am Morgen gehabt hatte, und um die Hoffnung, die Josef zu zerstören drohte. Als Mutter an mir vorbeiging, schloss ich zu ihr auf. Ein paar Schritte gingen wir schweigend nebeneinander her, dann platzte es aus mir heraus. »Ich will nicht, dass die Gaukler vertrieben werden.«
    Mutter sagte nichts darauf, aber ich sah an ihren hektischen, scharfen Bewegungen, dass sie wütend war.
    »Und du willst es auch nicht, oder?«
    Wieder keine Antwort. Um uns herum verschwanden die Menschen nach und nach in ihren Hütten. Else und Hans waren die Letzten, die uns eine gute Nacht wünschten.
    Ich folgte Mutter ins Haus und schloss die Tür. In der Feuerstelle knackten die letzten, glimmenden Holzscheite; die Luft roch nach Rauch und Minze.
    »Wir reden über solche Dinge nicht vor anderen«, sagte Mutter, als sie ihren Umhang sichtlich wütend über den einzigen Stuhl am Küchentisch warf und den Krug mit Obstbier nahm, den sie am Morgen angesetzt hatte. »Was wir denken, geht niemanden etwas an.«
    Ich nahm zwei Holzbecher aus dem schmalen Regal über der Küchenbank und stellte sie auf den Tisch. Wenn sie in einer solchen Stimmung war, das wusste ich seit langem, musste jedes Wort sorgsam gewählt werden. Was ich sagen wollte, war mir klar, nur wie ich dorthin kommen sollte nicht.
    »Du hast für die Gaukler gesprochen.«
    Mutter schüttete Bier in die beiden Becher und setzte sich. »Weil es richtig war. Aber es ändert nichts an dem, was ich gestern gesagt habe. Eine anständige Frau lässt sich nicht mit einem Gaukler sehen.«
    »Und was ist mit dem, der dich besucht hat?«
    »Was soll mit ihm sein?«
    Dieses Mal war ich diejenige, die schwieg. Hinter dem Haus schrie ein Nachtvogel.
    Mutter trank ihren Becher mit langen Schlucken leer, dann seufzte sie. »Sein Name ist Richard. Er ist ein durch und durch verdorbener Mann, so wie alle Gaukler und Schausteller.«
    Meine Wangen röteten sich. Ich trank rasch etwas Bier, um es darauf schieben zu können, sollte Mutter etwas bemerken.
    »Er hat mir ein Angebot gemacht«, sagte sie auf einmal, »aber wenn Josef seinen Willen kriegt, dann werde ich es nicht annehmen können.«
    Sie musste nicht weitersprechen, ich wusste bereits, was sie sagen würde. Trotzdem lauschte ich scheinbar interessiert, als sie mir von seinen Lateinkenntnissen berichtete und von ihrem Einfall, dass er mir an Schwester Johannitas Stelle Unterricht erteilte – natürlich unter Mutters Aufsicht. Damals begriff ich bereits, was Richard getan hatte, obwohl ich das Wort dafür erst später lernen würde. Er hatte sie manipuliert .
    Als Mutter ihre Ausführungen beendet hatte, war aus ihrer Wut Enttäuschung geworden. »Wir hätten deine Mitgift aufstocken können«, sagte sie abschließend.
    Ich stellte den Becher beiseite. »Wir können es immer noch.«
    Mutter sah auf, und dann hörte sie mir zu, vielleicht zum ersten Mal in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher