Die Nonne und der Tod
sah mich an. »Wenn du ihr weh tust, wenn du ihrer Seele etwas antust …« Seine Stimme zitterte. Er ließ den Satz unvollendet und legte Judith zurück aufs Bett.
Jacob krempelte die Ärmel hoch und drehte sich um. »Ich werde alles Nötige holen«, sagte er, während er die Herrenhaus-Höhle verließ.
Ich nahm eines der sauberen Tücher und tupfte Judith die Stirn ab. Sie bemerkte es und stöhnte leise. Noch war das Fieber nicht so stark, dass sich ihr Geist aus der Welt zurückgezogen hätte. Ich schätzte sie auf fünf oder sechs Jahre.
»Du versündigst dich«, sagte von Wallnen leise zu seinem Herrn. »Ich kann nicht mehr tun, als dir das zu sagen.«
Ich zog Judith Umhang und Bluse aus. »Ich bin keine Hexe«, sagte ich währenddessen, »und das wisst ihr beide sehr genau.«
»Was soll das heißen?«, fragte Wilbolt.
»Nichts«, antwortete von Wallnen eilig. »Sie versucht nur, einen Keil zwischen uns zu treiben.«
»Ich versuche herauszufinden«, sagte ich so ruhig ich konnte, obwohl mir das Herz bis in den Hals schlug, »warum ihr beide mein Leben auslöschen wolltet, nur weil ich euch um ein Papier gebeten habe.«
»Was für ein Papier?«, fragte Wilbolt.
Nun sah ich doch auf. Wilbolts gespielte Unschuld war schwerer zu ertragen als von Wallnens Hass. »Die Genehmigung, dass Jacob in die Stadt kommen darf. Mehr wollte ich nicht, aber du musstest ja Soldaten schicken und hast mich der Hexerei beschuldigt, obwohl ich nichts getan habe!« Die letzten Worte schrie ich Wilbolt geradezu ins Gesicht.
Sein Blick pendelte zwischen mir und seinem Berater hin und her, dann blieb er auf von Wallnen haften. »Wieso weiß ich davon nichts?«
Aus den Augenwinkeln sah ich Jacob im Gang auftauchen. Er schwieg, stellte nur eine Schüssel mit warmem Kräutersud auf den Hocker neben dem Bett und ging dann wieder.
Von Wallnen seufzte und setzte sich. »Du bist ein schwacher Mann, Wilbolt, das wusste schon dein Vater. Bevor er starb, bat er mich, dir ebenso treu zu dienen, wie ich ihm gedient habe, und auf dich aufzupassen. Das habe ich getan und allen Unbill von dir ferngehalten, trotz all der Affären und der wilden Feste …«
»Das ist lange her«, sagte Wilbolt.
»Und ich habe für dich die Entscheidungen getroffen, die du nicht treffen wolltest, weil du ja jedem gefallen willst, ob Freund oder Feind.« Von Wallnen drehte den Stock zwischen den Fingern. »Ich habe sie dir abgenommen, und das tue ich bis heute.«
»Du hast mich angelogen?«
»Hunderte Male. Du wolltest es nur nie wissen.«
»Ich will es jetzt wissen.« Wilbolt stand da, zitternd vor Wut.
»Das bezweifle ich.« Von Wallnen legte eine solche Arroganz in seine Worte, dass es mir vorkam, als wäre er der Herr. Dann stand er auf und schlurfte mit langsamen Schritten aus der Herrenhaus-Höhle. Wilbolt hielt ihn nicht auf.
»Er hat recht«, sagte er nach einer Weile. »Als er mir sagte, dass man dich der Hexerei beschuldigt und du versuchen würdest, mich zu erpressen, gab ich ihm Geld, damit er das Problem aus der Welt schafft. Kein einziges Mal habe ich nachgefragt.«
Er schritt auf das Bett zu, ergriff die Hand seiner Tochter und sah mich an. »Ist es jetzt zu spät?«
Vielleicht sprach nur Verzweiflung aus ihm. Vielleicht war er freundlich zu mir, damit ich alles versuchte, um Judith zu retten. Dennoch ertappte ich mich dabei, dass ich lächelte.
»Nein, es ist nicht zu spät«, sagte ich.
Und dann redeten wir, Vater und Tochter.
Während die Stadt über uns in Tod und Chaos versank, saß ihr Bürgermeister am Bett seiner Tochter und wich ihr nicht von der Seite. Zwei Tage schon war er bei uns, aber noch immer ging es Judith nicht besser.
Am Abend setzte sich Jacob zu uns. »Du musst den Rat zusammenrufen«, sagte er zu Wilbolt. »Mit ein wenig Disziplin können wir der Seuche vielleicht doch noch Einhalt gebieten.«
»Den Rat?« Wilbolt seufzte schwer. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, er hatte kaum geschlafen. »Es gibt keinen Rat mehr. Als ich Judith hierherbrachte, waren von zweiundzwanzig Ratsherren nur noch sieben übrig. Und die verstecken sich in ihren Häusern. Niemand wird kommen, wenn ich rufe.«
»Dann entscheide allein, es ist mir egal, aber es muss entschieden werden.« Jacob beugte sich vor. »Dort oben macht das Gerücht die Runde, die Juden wären an allem schuld.«
Wilbolt rieb sich müde über die Bartstoppeln. »Die kursieren schon seit Wochen. Wir haben versucht, sie klein zu halten und die Prediger von den
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