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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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bis auf Ratten und Leichen. Niemand kam uns entgegen, niemand ging in unsere Richtung.
    »Wirst du mit Jacob nach Maastricht gehen, wenn die Tore wieder geöffnet sind?«, fragte Richard unvermittelt.
    »Ja.« In den letzten Tagen hatte ich nicht mehr gewagt, an die Zukunft zu denken, denn ich befürchtete insgeheim, damit das Schicksal herauszufordern. »Und du?«
    »Nein, ich denke, drei sind einer zu viel.«
    Ich lachte. »Du weißt, was ich meine. Wirst du hierbleiben …«, ich zögerte, bevor ich die Frage beendete, »… mit Czyne?«
    »Wohl eher trotz Czyne .« Er blieb vor einer Kreuzung stehen und warf einen Blick um die Ecken nach links und rechts. Es war niemand zu sehen. »Wir sind nicht gerade die besten Freunde.«
    »Mir hat sie gesagt, du seist das einzig Gute, was ihr je im Leben widerfahren ist.«
    Richard lachte leise, aber es klang freudlos. »Czyne hat einen seltsamen Sinn für Humor.«
    Wir bogen in eine Gasse, in der hauptsächlich Tischler ihre Werkstätten hatten. Ein Mann stand vor der Tür eines Hauses und leerte einen Fäkalieneimer in die Gosse, aber als er uns sah, ließ er den Eimer fallen, trat zurück ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu. Richard runzelte die Stirn.
    »Ich glaube nicht, dass es ein Witz war«, sagte ich. »Sie klang …«
    Richard unterbrach mich. »Hast du die Narben auf ihrem Rücken gesehen?« Als ich nickte, fuhr er fort, und ich hörte Ärger und Scham in seiner Stimme. »Sie stammen von Stockhieben, und ich war der Grund dafür. Wenn sie also sagt, ich wäre das einzig Gute in ihrem Leben, ist das gelogen, denn ich war für ihr Leben etwas sehr, sehr Schlechtes.« Er wies mit einem Kopfnicken nach vorn. »Dort ist die Straße. Wenn wir da nicht die Antwort auf die Frage finden, was in der Stadt plötzlich los ist, gehen wir zurück.«
    Ich sah ihm verwirrt nach, als er voranschritt, und fragte mich, wie seine Anspielungen zu Czynes Worten passen mochten.
    Ich folgte ihm zur Straße.
    Dort trafen wir auf Menschen.
    Sie schritten die Straße entlang, manche hielten Fackeln in den Händen, andere Dreschflegel, Knüppel, Messer. Es waren sowohl Männer als auch Frauen, und alle hatten sie ein Aschekreuz auf der Stirn.
    Wir standen am Ende der Gasse, an der die Menschen vorbeizogen. Sie wirkten ernst und angespannt.
    Richard sprach eine junge, ärmlich aussehende Frau an, die von niemandem begleitet wurde. »Entschuldige, Schwester. Wo geht ihr alle hin?«
    »Wir sind Soldaten des Heiland«, sagte sie stolz. »Der Herr hat uns erwählt, die Stadt von der Seuche zu befreien. Wart ihr eben nicht auf dem Domplatz?«
    »Nein.« Richard schüttelte den Kopf.
    »Ihr habt eine bewegende Rede verpasst. Der Apotheker Erasmus hat sie gehalten.« Der Blick der jungen Frau wirkte entrückt, so als hätte sie ein großes Geheimnis erfahren. »Der Herr hat ihm enthüllt, dass die Seuche nicht in unseren Körpern haust, sondern in unseren Seelen. Wir haben den Teufel in die Stadt gelassen, und solange sein Atem die Luft erfüllt, kann es keine Erlösung geben. Schließt euch uns an. Auch ohne das Kreuz des Erasmus könnt ihr ein Soldat Christi werden. Kommt, rettet Coellen.«
    »Nein, wir …«, begann ich, aber Richard unterbrach mich.
    »Und wohin gehen wir?«, fragte er.
    »Wohin auch immer Gott uns führt.«
    Sie ging weiter, und Richard schloss sich ihr an und zog mich am Arm mit.
    »Was soll das denn?«, flüsterte ich.
    »Ich will wissen, was sie vorhaben.«
    Wir blieben auf der Straße, bogen erst kurz vor dem Severinstor ab und gingen durch Gassen, deren Häuser mit jeder Kreuzung, die wir überquerten, wohlhabender wirkten. Bald waren sie aus Stein, nicht mehr aus Lehm und Holz. Die meisten Türen und Fenster waren mit Brettern vernagelt, als ahnten die Bewohner bereits, was ihnen bevorstand.
    »Das ist das Judenviertel«, sagte Richard.
    Die Prozession wurde langsamer. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, versuchte zu zählen, wie viele Menschen in die Gasse strömten. Sie kamen auch aus anderen Richtungen herbei. Es mussten Hunderte sein.
    »Komm, wir gehen weiter nach vorn.« Richard ergriff meine Hand.
    Je weiter wir nach vorn kamen, desto dichter standen die Menschen. Schließlich ging es nicht mehr weiter. Ich betrachtete die Fassaden der Häuser. Sie waren größtenteils zweistöckig, doch einen Steinwurf weit vor uns ragte ein Gebäude mit spitz zulaufendem Giebel auf. Es wirkte schlicht bis auf den mannsgroßen sechseckigen Stern, der in die Fassade

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