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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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komm mit. Es passen zwei unter das Tuch.«
    Sie blieb liegen, die Hand auf den Arm gepresst, den ich weggeschlagen hatte. Noch nie zuvor hatte ich so etwas getan. Ihr Gesicht verschwamm in Tränen und Rauch.
    »Tue es nicht«, flüsterte sie. Das Knistern und Rauschen der Flammen wurde lauter. »Es gibt nichts Schönes dort draußen, nur Leid. Komm mit zu Gott. Ergebe dich ihm.«
    Ich schüttelte den Kopf. Ein brennender Strick riss ab und fuhr wie eine Peitsche nach unten. Erschrocken wich ich zurück, das Leinentuch in der Hand. »Bitte …«
    Mutter kam auf die Knie, begann zu husten und zu würgen. Ein zweiter Strick löste sich, fiel brennend zu Boden. Kräuter verpufften in kurzen Stichflammen. Ich machte einen unsicheren Schritt auf Mutter zu, aber sie wandte sich ab, kroch tiefer in den Rauch bis unter die Küchenbank.
    Ich wollte sie anschreien, anflehen, aber meine Stimme versagte. Mir wurde schwindelig. Alles war grau, bitter und heiß.
    Mit zitternden Händen hüllte ich mich in das triefend nasse Tuch. Ich konnte die Tür nicht mehr sehen, wusste aber, wo sie war. Ich nahm Anlauf und warf mich mit aller Kraft gegen das Holz.
    Funken, Flammen, Hitze schlimmer als alles, was ich je zuvor gespürt hatte, Schreie, Rufe, dann knirschendes Eis unter meinen Füßen, eiskalte süße Luft in meinem Mund. Ich war hindurch.
    Und ich rannte.

Kapitel 6
    Ich rannte, bis meine Beine unter mir nachgaben und ich mich in den weißen Schnee übergab, dann raffte ich mich auf und rannte weiter. Jeder Atemzug brannte in meiner Kehle, stach in meiner Seite, meine Knie zitterten, und das Blut pochte in meinem Kopf. Kein einziges Mal drehte ich mich um, so groß war meine Furcht, von einer Hand zurückgerissen und von einer Faust getroffen zu werden. Flüche und Schreie hallten mir hinterher, zuerst so laut, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte, dann leiser, bis da schließlich nur das Knirschen meiner Schritte war und das Krächzen der Rabenvögel hoch über meinem Kopf.
    Irgendwann brach ich zusammen. Ich fiel in den nassen, kalten Schnee und konnte nicht mehr aufstehen. Ich versuchte mich mit den Armen weiter voranzuziehen, doch mehr als den Willen dazu brachte ich nicht mehr auf. Keuchend drehte ich mich auf den Rücken, halb erwartete ich, Josefs Gesicht über mir zu sehen, doch da war nur grauer, kalter Himmel.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so im Schnee lag, aber irgendwann ließ das Zittern meines Körpers nach, und meine Gedanken wurden klarer. Hastig setzte ich mich auf. Es war niemand zu sehen, weder Mensch noch Tier, sogar die Krähen waren verschwunden. Um mich herum gab es nur schneebedeckte Felder, Hecken, die wie große weiße Würmer auf dem Land lagen, und einzeln stehende Bäume, deren kahle Äste in den Himmel ragten.
    Ich war allein.
    Mein Blick folgte den Fußspuren, die ich hinterlassen hatte, bis zu einem kleinen Waldstück. Dahinter, viel weiter weg, als ich es für möglich gehalten hätte, stieg dichter, schwarzer Rauch empor. Alles, was ich jemals geliebt und woran ich jemals geglaubt hatte, löste sich darin auf. Ich dachte an Mutter, aber in meinen Gedanken sah ich sie nicht, wie ich sie mein Leben lang gesehen hatte, sondern wie sie unter die Küchenbank kroch und mich allein ließ. Danach versuchte ich nicht mehr an sie zu denken.
    Die dicke Wolle meines Winterumhangs hatte verhindert, dass ich allzu nass geworden war, trotzdem waren meine Hände und Füße fast taub. Ich stand auf, klopfte den Umhang aus und hüllte mich darin ein. Dann wandte ich den Blick vom Wald und der Rauchsäule ab und richtete ihn nach vorn. Es war rein zufällig, dass ich in Richtung Coellen gelaufen war, und daran änderte ich auch nichts. Es gab nur einen Menschen, dem ich mich anvertrauen und auf dessen Hilfe ich hoffen konnte.
    Ich tastete nach dem Papier in meinem Hemd und stellte erleichtert fest, dass ich es nicht verloren hatte. Mit ihm würde ich meine Identität beweisen. Und das Geld – ich griff in meinen Gürtel und zog den kleinen Lederbeutel heraus – würde reichen, um mich vernünftig einzukleiden, damit ich nicht aussah wie eine Bettlerin, wenn ich meinem Vater unter die Augen trat.
    Ich wog den Beutel in der Hand und stutzte, als ich es darin klackern hörte. Die Schnur, die ihn zusammenhielt, war verknotet, und meinen vor Kälte steifen Fingern fiel es schwer, den Knoten zu öffnen. Als es mir endlich gelang, schüttete ich den Inhalt des Beutels in meine Handfläche.

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