Die Nonne und der Tod
unter das Fell und wärmte sie.
»Das trifft sich ja gut«, sagte Dorlein. Die Aussicht, bis nach Coellen laufen zu müssen, schien sie nicht zu begeistern.
»Mein Name ist Gertrudt.« Die alte Frau zog einen Stoffbeutel unter dem Kutschbock hervor. Ich schluckte hungrig, als ich den Brotlaib darin sah. Sie riss ein Stück ab, reichte es mir, griff noch einmal in den Beutel und drückte mir auch noch eine halbe Zwiebel in die Hand. Mit dem Fuß schob sie einen Wasserschlauch über das Holz.
»Ich heiße Ketlin.« Die Zwiebel war scharf und saftig. Erst als ich darauf biss, bemerkte ich, wie hungrig ich war.
»Und woher kommst du, Ketlin?«
Ich schluckte ein wenig Brot herunter. »Aus einem kleinen Dorf.« Mit der freien Hand zeigte ich in die falsche Richtung. »Es hat keinen Namen.«
»Aha.«
Danach ließ Gertrudt mich in Ruhe essen. Erst als ich aus Höflichkeit ein zweites Stück Brot ablehnte und ihr den Schlauch mit dünnem Bier zurückschob, ergriff sie wieder das Wort.
»Und weshalb gehst du ganz allein nach Coellen?«
»Weil unser Haus abgebrannt und meine Mutter tot ist.« Ich hörte mich die Antwort sagen, aber es war, als spräche ein anderer Mensch.
»Großer Gott«, sagte Dorlein. Fritz drehte sich um und musterte mich ebenso neugierig wie traurig, so als wäre ich der Affe eines Gauklers. Gertrudt sagte nichts, rückte nur näher an mich heran und legte mir den Arm um die Schultern. Sie roch wie Mutter, nach Erde und Minze.
Ich schloss die Augen und lehnte mich an sie. Irgendwann begann ich zu weinen.
Es wurde bereits dunkel, als die Stadtmauern Coellens vor uns auftauchten. Überall standen Karren, Zelte und windschiefe, hastig aus Holzresten und Lehm errichtete Hütten. Das Leben in der Stadt war teuer, nicht jeder, der dort zu tun hatte, konnte es sich leisten, auch dort zu wohnen. Mutter hatte mich die wenigen Male, da ich sie nach Coellen begleiten durfte, an der Mauer außerhalb der Stadt vorbeigezogen, aus Angst, dass man uns etwas antun könnte.
»Dort wirst du auch mal enden, wenn du so weitermachst.« So oft hatte sie das zu mir gesagt, dass ich in diesem Moment glaubte, ihre Stimme zu hören.
Und sie hatte recht , dachte ich, als Fritz den Ochsen von der Straße weg zu einem freien Lagerplatz inmitten von Zelten und Karren führte.
Der Karren hielt an. Vom Kutschbock aus sah ich Dutzende Lagerfeuer und die Umrisse der Menschen, die daran saßen. Einige drehten sich zu uns um, winkten und grüßten. Ich war mir nicht sicher, ob sie Fritz und seine Familie kannten oder ob sie es einfach so taten.
Ich legte das Schaffell beiseite und stieg vom Kutschbock, dann half ich Gertrudt hinunter. Sie streckte sich und stemmte die Fäuste in den Rücken.
»Ich hab gesagt, bleib zu Hause.« Fritz spannte den Ochsen aus. »Ist keine Reise für ’ne alte Frau.«
Gertrudt winkte ab. »Ich komm noch früh genug unter die Erde.«
Ich sah zum Stadttor. Es war fast dunkel. Die Wachen würden es bald schließen, aber noch immer stand eine Schlange davor, und die Menschen warteten darauf, eingelassen zu werden.
»Ich möchte mich für eure Hilfe und Gastfreundschaft bedanken«, sagte ich steif. »Ich werde euch stets in meine Gebete einschließen.«
»Denkst du, die lassen dich jetzt noch in die Stadt?« Fritz rammte einen Pflock in den Boden und band den Ochsen daran fest.
Ich sah zuerst ihn, dann Dorlein und Gertrudt an. Alle drei glaubten, dass ich unterwegs zu meinem Onkel und dessen Familie war, in der Hoffnung, sie würden mich aufnehmen.
»Das Tor ist noch auf.«
Dorlein räusperte sich. »Es ist fast dunkel, und du bist eine Frau. Die Wachen werden dich nicht reinlassen, weil sie denken, dass du …« Sie unterbrach sich und sah Hilfe suchend zu Fritz, der sie nicht beachtete.
»Dass du den Männern Vergnügen bereiten willst«, sagte Gertrudt.
Hure. Josefs Stimme erklang in meinem Kopf. Ich schüttelte mich unwillkürlich.
»Mutter, wirklich!«, wies Dorlein die alte Frau zurecht, dann sah sie mich an und fuhr freundlicher fort. »Du kannst diese Nacht hierbleiben und morgen früh mit uns zum Markt fahren.«
Fritz grunzte, sagte aber nichts dazu.
Gertrudt nickte. »So wird es gemacht.«
Ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
Ich sah mich um. Überall waren Menschen, hauptsächlich Bauern, die wie Gertrudt, Fritz und Dorlein ihre Waren in die Stadt brachten, um sie dort zu verkaufen. Manche hockten ganz ungeniert zwischen den Zelten und verrichteten ihr Geschäft. An den
Weitere Kostenlose Bücher