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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Ungläubig starrte ich darauf.
    Ein Pfennig und einige kleine Kiesel.
    Richard , dachte ich. Er hatte wohl doch gesehen, was sich in der Truhe befand, als ich sie an dem Abend in unserem Haus geöffnet hatte, um die Kerzen herauszuholen. Ich stellte mir vor, wie er auf dem Weg zurück zur Scheune heimlich ins Haus geschlichen und das Geld aus dem Beutel genommen hatte. Warum er die Münzen gegen Steine getauscht hatte, wusste ich nicht. Vielleicht hatte er geglaubt, dass sein Diebstahl auf diese Weise länger unentdeckt bliebe.
    Ich ließ die Steine fallen und legte den Pfennig wieder in den Beutel. Nun würde ich Vater wohl doch wie eine Bettlerin gegenübertreten müssen. Ein Pfennig reichte nicht für neue Kleidung.
    Ich wartete auf die Wut, die ich sicherlich bald fühlen würde, doch in mir war nur Leere und eine dumpfe, pochende Enttäuschung. Wie ein Schmerz saß sie in meiner Brust. Ich machte mir nicht die Mühe, die Schnur wieder zu verknoten, sondern zog sie nur zusammen und steckte den Beutel in meinen Gürtel. Dann setzte ich mir die Kapuze auf und ging weiter durch den knöcheltiefen Schnee.
    Es dauerte nicht lange, bis ich einen Weg entdeckte. Karrenspuren hatten sich in den vereisten Boden gegraben. Ich ging zwischen ihnen, achtete darauf, weder zu stolpern, noch auf dem Eis auszurutschen. Das lenkte meine Gedanken ab und gab mir etwas zu tun.
    Gegen Mittag stieß ich auf eine Straße. Sie führte von Westen nach Osten, während der Weg, auf dem ich mich befand, nach Süden abknickte, wahrscheinlich zu einem nahe gelegenen Dorf. Ich verließ ihn und wandte mich nach Osten. Das Land war flach und leer. Seit – ich wollte nicht daran denken, seit wann – hatte ich keinen Menschen mehr gesehen, vielleicht erschrak ich mich deshalb so, als ich hinter mir das Quietschen und Knarren von Rädern hörte. Im ersten Moment wollte ich loslaufen, wollte wie ein Hase vor dem Jäger über die Felder zum Wald flüchten, doch ich zwang mich zur Ruhe und drehte mich langsam um. Sie konnten mir nicht so weit gefolgt sein.
    Auf dem Ochsenkarren, der langsam auf mich zurollte, saßen Menschen, die ich noch nie gesehen hatte. Es waren zwei Frauen, eine alt, die andere jung, beide in lange Wollumhänge gehüllt. Neben dem Ochsen, der den Karren zog, ging ein kräftig wirkender Mann. Auch er trug einen dutzendfach geflickten, schmutzigen Umhang. Er hatte sich Lumpen um die Hände gewickelt und führte den Ochsen am Zügel. Auf der Ladefläche des Karrens standen mehr als ein Dutzend Fässer.
    »Gott zum Gruß, Schwester«, sagte der Mann. Er klang gleichgültig und müde.
    »Gott zum Gruß, Bruder«, antwortete ich. »Und euch, Schwestern.«
    Ich machte dem Karren Platz, ließ ihn an mir vorbeirollen. Die ältere der beiden Frauen sah zu mir herunter. Ihr Gesicht war faltig und rau, ihre Augen trüb.
    »Was ist dir zugestoßen, Kind?«, fragte sie.
    »Nichts.« Ich wandte den Blick ab, wollte weder über das reden, was geschehen war, noch darüber nachdenken.
    »Aber dein Gesicht ist ganz rot, und deine Kleidung …« Sie ließ den Satz unvollendet. Überrascht bemerkte ich das Brennen auf meinen Wangen, wie nach einem Sonnenbrand. Und dann sah ich, dass mein Rock rußgeschwärzt und voller Brandlöcher war, ebenso wie der Saum meines Umhangs. Wieso war mir das vorher nicht aufgefallen? Fast noch im gleichen Atemzug spürte ich, dass mein Hals rau und mein Magen leer war. Schwindel überkam mich, und ich musste mich an der Wand des Karrens festhalten.
    »Halt mal an, Fritz«, sagte die alte Frau. »Wir nehmen das Mädchen mit.«
    Fritz knurrte etwas und spuckte aus. »Was soll der alte Ochse denn noch alles ziehen? Wenn das so weitergeht, sind wir Ostern noch nicht in Coellen.«
    Ich fing mich wieder und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht; meine Haut war trocken und heiß. »Ihr müsst mich nicht mitnehmen. Es geht mir gut.«
    Die alte Frau schien nicht zu hören, was ich sagte. »Dorlein, du steigst ab und läufst.«
    Die jüngere Frau hob den Kopf unter ihrer Kapuze. »Ich? Aber ich bin müde, Mutter.«
    Doch während sie das sagte, stieg sie bereits vom Kutschbock und sprang in den Schnee.
    »Komm jetzt«, sagte die alte Frau zu mir.
    Widerspruchslos ließ ich mir von Dorlein und Fritz auf den Kutschbock helfen. Ein Schaffell lag auf dem harten Holz. Die alte Frau griff hinter sich und holte ein zweites hervor, das sie mir auf den Schoß legte. »Wo musst du denn hin, Kind?«
    »Coellen.« Ich steckte die Hände

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