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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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hinterlassen, die nun rasch rot wurden. »Das werden wir sehen.«
    Sie stießen uns weiter über den vereisten, harten Boden, bis wir unser Haus erreichten. Adalbert stieß die Tür auf und schüttelte angewidert den Kopf. »Da drin stinkt’s.«
    Andere kamen zu ihm, sahen in unsere Stube zu den getrockneten Kräutern, die an langen Seilen von der Decke hingen, und dem großen Topf, in dem der Sud kochte, mit dem Mutter das Fieber hatte heilen wollen.
    »Hexerei!«, stieß Martsch hervor.
    Das Wort wurde von der Menge aufgenommen. Wenn ich in ihre Gesichter blickte, sah ich nur noch Fremde.
    Mutter und ich wurden in die Stube gedrängt, dann warf jemand hinter uns die Tür zu.
    Schwer atmend und mit klopfendem Herzen lehnte ich mich an die Wand. Mutter ließ sich auf die Küchenbank fallen und verbarg das Gesicht in den Händen.
    Draußen hörte ich Josefs Stimme. Er zählte unsere angeblichen Vergehen auf, wurde dabei aber immer wieder von Stimmen unterbrochen, die eigene Geschichten über das, was wir getan hätten, beisteuern wollten. Es waren so viele, dass sie ineinander übergingen, bis ich nichts mehr verstehen konnte.
    Ich hatte geglaubt zu wissen, was Angst ist. Das Gefühl, wenn man allein durch einen dunklen Wald geht und jedes Knacken, jeder Schatten bedrohlich wirkt. Das Hämmern in der Brust bei einem schweren Sturm oder das Flattern im Magen, wenn der Blitz bei einem Sommergewitter ganz in der Nähe einschlägt. Doch ich hatte mich geirrt. Ich hatte nie zuvor wirklich Angst gehabt.
    Das Gefühl in diesem Moment, eingesperrt im eigenen Haus, umgeben von Menschen, die man einmal gekannt hatte, der Schmerz im Rücken vom Knie eines Mannes, auf dessen Schoß ich als Kind gesessen hatte, das war Angst.
    »Was wird jetzt passieren, Mama?« Es war lange her, dass ich Mutter so genannt hatte. Ich tat es, ohne darüber nachzudenken.
    Sie nahm weder die Hände vom Gesicht, noch antwortete sie mir. Die Stimmen draußen vor der Tür wurden lauter, drängender. Ich hörte Rascheln, dann schlug etwas gegen die Wand.
    »Mama?«
    Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Mutter endlich die Hände nach unten nahm. Josefs Fingerabdrücke waren zu hässlichen roten Wülsten geworden.
    »Sie werden uns umbringen«, sagte sie.
    Ich lachte. Der Gedanke erschien mir so töricht, so unvorstellbar, dass ich nicht anders konnte. Ich lachte, bis sich meine Augen mit Tränen füllten und ich zu weinen begann.
    Mutter streckte ihre Hand aus, zog mich zu sich auf die Bank und nahm mich in den Arm. Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter. »Ich wollte immer dein Bestes, das weißt du doch, Ketlin, oder?«
    Ich nickte. Durch das Fenster hörte ich, wie jemand die Stalltür öffnete und Ziegen meckerten. Die Stimmen wurden leiser. Selbst Josefs war kaum noch zu hören. Ich zuckte zusammen, als Knut lachte.
    »Gott weiß, dass wir nichts getan haben, und wir wissen es auch. Wir werden mit dem Herrn im Himmel speisen, und sie werden in der Hölle brennen.« Mutter stieß das letzte Wort hervor. Ich spürte, wie sich ihre Brust rasch hob und senkte. »Möchtest du beten?«
    »Nein.« Ich hörte ihr kaum noch zu, lauschte stattdessen auf das, was sich draußen abspielte. Sie taten irgendetwas am Haus, aber ich wusste nicht, was.
    »Dann werde ich für uns beide beten.« Sie holte tief Luft und begann zu flüstern. Ich verstand nicht, was sie sagte, aber der Klang ihrer Stimme beruhigte mich, nahm der Angst ihre schlimmsten Spitzen.
    Bis ich den Rauch sah.
    Er kräuselte sich unter der Tür und zwischen den Ritzen hindurch, trieb langsam wie Nebelfetzen im warmen Sonnenlicht durch den Raum. Im nächsten Moment roch ich ihn, und die Angst bohrte sich so heftig in meinen Magen, dass ich würgen musste.
    »Ich will nicht sterben!«, stieß ich hervor.
    Mutter strich mir übers Haar. »Ich weiß.« Ihre Stimme schwamm in Tränen. »Hab keine Angst. Es wird bald vorbei sein.«
    Ich duckte mich unter ihrer Hand weg und sprang auf. Die Angst wurde zur Wut. »Wie kannst du nur so ruhig dasitzen?« Ich zeigte auf den dichter werdenden Rauch. »Sie werden uns verbrennen, Mutter!«
    »Und wir werden sterben, wie wir gelebt haben – in Würde und Anstand.« In Mutters Blick kehrte eine Härte zurück, die ich nur allzu gut kannte. Sie hatte beschlossen, dass wir sterben würden, so wie sie einst beschlossen hatte, dass ich einen Krämer heiraten und in der großen Stadt leben würde. »Sie können uns unser Leben nehmen, aber selbst im Tod werden wir

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