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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Sie war stumpf und schartig, zwickte bei jedem Schnitt.
    »Du weißt zu schätzen, was dein Vater für dich tut, obwohl er es nicht müsste. Du bist dankbar, dass du einen Platz in unserer Gemeinschaft gefunden hast, nicht als Konversin, sondern als Nonne. Ich sehe dir an, dass du verstehst, was für eine Gnade unser Herr dir damit erwiesen hat.«
    Aus Strähnen wurden Büschel. Ich sah auf den Boden und wartete, dass die Tränen kamen, aber sie blieben aus. Vielleicht hatte Schwester Maria recht. Vielleicht wusste ich es im tiefsten Inneren wirklich.
    »Habt Ihr es ihnen gesagt?«, fragte ich.
    »Was gesagt?«
    »Dass ich …« Ein Bastard bin, dachte ich, aber das Wort kam mir nicht über die Lippen. »Dass ich anders bin als sie.«
    Das Klappern der Schere verstummte. Schwester Maria seufzte kurz, dann schnitt sie weiter. »An einem Ort wie diesem ist es fast unmöglich, etwas geheim zu halten. Ich habe nichts gesagt, aber ich nehme an, dass manchen etwas zu Ohren gekommen ist. Nicht, wer die Mitgift bezahlt hat, nur dass jemand für ein Mädchen von niederem Stand, das eigentlich schon zu alt für die Aufnahme als Novizin ist, gezahlt hat. Den Grund dafür zu erraten fällt nicht schwer.« Sie wischte Haarsträhnen von meinen Schultern. »Gib nichts darauf, was sie sagen. Zeige Stärke und Gleichmut, dann werden sie von selbst damit aufhören.«
    Ich nickte und spürte die Kühle des Raums in meinem Nacken. Schwester Maria musste mir die Haare fast bis zur Wurzel abgeschnitten haben. Es war ein seltsames Gefühl, unangenehm und fremd.
    »So.« Sie ging zur Truhe und breitete die Kleidungsstücke, die sie aus den Schubladen genommen hatte, darauf aus. »Dies ist deine Tracht. Komm her, dann zeige ich dir, wie du sie anlegen musst. Zieh deine Sachen aus.«
    Ich entkleidete mich bis auf den Unterrock, faltete Kleid und Schürze und legte sie auf den Schemel. »Was geschieht damit?«, fragte ich.
    »Wir bewahren alles auf, bis du dein Gelübde ablegst. Dann geben wir sie den Armen.«
    Und wenn ich den Orden verlassen will?, dachte ich, stellte die Frage jedoch nicht.
    Als Schwester Maria zu einem der Schränke ging und nach passendem Schuhwerk suchte, fuhr ich mir rasch mit der Hand über den Kopf. Ich erschrak, als ich die Stoppeln und Büschel unter meinen Fingern spürte. Mein Kopf musste aussehen wie eine schlecht gemähte Wiese.
    Schwester Maria kam zurück und musterte mich. »Ja, die Tracht sollte passen. Ich habe wohl richtig geschätzt.« Sie nahm einen weißen Ärmelrock und gab ihn mir. »Den zuerst.«
    Ich zog ihn über den Kopf. Er roch sauber und frisch, so als sei er gerade erst gewaschen worden, und reichte bis eine Handbreit über den Boden. Darüber kam ein etwas kürzeres schwarzes Skapulier, das Brust und Rücken wie eine Schürze bedeckte und eine Kapuze hatte.
    »Das hier nennt man Kukulle«, sagte Schwester Maria und meinte eine glockenförmige weiße Robe, die, als ich sie anlegte, bis zu den Knöcheln reichte. Sie hatte ebenfalls eine Kapuze, aber im Gegensatz zu den Kukullen der Nonnen keine Ärmel. Ich nahm an, dass man so die Novizinnen von den wahren Bräuten Christi unterschied.
    Es folgte ein weißes Kopftuch, das sich eng an den Kopf schmiegen musste.
    »Wenn du glaubst, du kannst den Mund nicht mehr öffnen, hast du es richtig gemacht«, sagte Schwester Maria, während sie den schwarzen Schleier am Kopftuch feststeckte.
    Sie gab mir auch ein Paar lederne Sandalen und dicke Wollsocken, trat einen Schritt zurück und nickte dann zufrieden. »Wir leben nach der Benediktinerregel, was bedeutet, dass wir Kleidervorschriften sehr genau nehmen. Achte darauf, dass alles stets richtig sitzt, und frage eine deiner Mitschwestern, wenn du unsicher bist. Ich lasse dir später eine zweite Tracht bringen und einen weiteren Unterrock zum Wechseln. Auch die Nonnen von hohem Stand waschen ihre Kleider selbst.«
    »Ja, Schwester.«
    »Sitzt alles gut?«
    Die Tracht war warm und schwer, die Wolle rau. Ich fühlte mich eingeengt und unwohl, wagte es aber nicht, mich darüber zu beschweren. »Ja, Schwester.«
    »Hast du behalten, wie man alles anlegt?«
    Ich nickte.
    »Gut, dann kannst du die Tracht jetzt wieder ausziehen.«
    »Was?«
    Ich musste verwirrt wirken, denn Schwester Maria lachte. »Du glaubst doch nicht, dass wir dich Christus in einer Vorratskammer vorstellen. Da könnten wir ja gleich zu den Heiden gehen. Die offizielle Einkleidung findet im Kapitelsaal statt. Beeil dich, die anderen warten

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