Die Nonne und der Tod
hatte.
Eine Hand legte sich plötzlich auf meine Schulter. »Geh«, sagte Maria leise, »du schadest dir nur selbst, wenn du Ungehorsam zeigst.«
Sie hatte recht, auch wenn es mir schwerfiel, mir das einzugestehen. Ich nickte und machte einen Schritt in Richtung meiner Zelle. Marias Hand rutschte von meiner Schulter, aber ich ging nicht weiter, sondern drehte mich zu der Nonne um.
»Möchtest du immer noch, dass ich den anderen vorspiele, ich hätte mich geirrt?«
Maria antwortete nicht. Ich ließ sie allein vor der Zelle zurück.
Das Nachtgebet verlief ruhig, beim Gottesdienst klangen unsere Hymnen müde und freudlos. Benedikta kam weder am Morgen zum Frühstück noch zur Laudes oder zur Prim. Ich wollte sie in ihrer Zelle besuchen, aber als ich sah, dass Schwester Ysentrud vor der Tür stand wie ein Wächter, wandte ich mich ab und ging in den Wald.
Es war ein sonniger Tag, und je weiter ich mich vom Kloster entfernte, desto besser fühlte ich mich. Mutter Immaculata hatte die Lesung am Morgen genutzt, um uns an unsere Pflicht zum Gehorsam zu erinnern, aber umgeben vom Rascheln der Blätter und dem Singen der Vögel vergaß ich ihre Worte rasch. Nur Benediktas Schreie folgten mir noch.
Die Vorstellung, dass sie sich versündigt hatte, so wie die Äbtissin und Schwester Johannita zu glauben schienen, fiel mir schwer. Ich kannte keine Novizin, die reiner und unschuldiger wirkte als Benedikta. Die Gewalt, die man ihr angetan hatte, verstörte mich.
Was, wenn sie wirklich den Messias in sich trug? , fragte ich mich, während ich roten Fingerhut pflückte und in meine Tasche legte. Was, wenn sie ihn getötet haben?
Der Gedanke war so entsetzlich, dass ich nicht wagte, ihn weiterzuverfolgen. Stattdessen begann ich auf meine Umgebung zu achten, nach Kräutern zu suchen und mehr noch nach Spuren, dass ein anderer vor mir an diesen Orten gewesen war. Schließlich erreichte ich die Lichtung, auf der ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Ich hielt mich an ihrem Rand versteckt und sah über das hohe Gras zum Teich, aber dort hingen nur Libellen über dem Wasser. Ich war allein.
Bis zum Abend blieb ich dort, wartend, hoffend, fürchtend. Ich schnitt ein paar Pflanzen ab, viel zu wenige, um meinen langen Ausflug zu rechtfertigen, dann machte ich mich auf den Rückweg.
Ich hatte den Weg noch nicht ganz zur Hälfte zurückgelegt, als ich ein Rascheln hörte und das Knacken von Ästen. Abrupt blieb ich stehen und lauschte in den Wald hinein. Als es ein zweites Mal knackte und ich Schritte im Laub hörte, begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich drehte mich einmal um mich selbst und suchte mit meinen Blicken nach dem, der die Geräusche verursachte.
Ein bräunlicher Fleck hinter grünen Sträuchern, dann ein Gesicht, das kurz hinter einer Astgabel auftauchte und wieder verschwand, und Schritte, die verstummten. Ich ging darauf zu, aber das Unterholz war an dieser Stelle so dicht, dass es mir den Weg verwehrte. Also lief ich daran entlang, den Rock zusammengerafft, damit er nicht an Zweigen und Dornen hängen bleiben konnte, den Blick in den Wald gerichtet.
Ich fand einen schmalen Trampelpfad und bog ein. Die Schritte entfernten sich von mir, dabei war ich mir sicher, dass er mich bemerkt haben musste. Ich dachte an die Geste, mit der ich ihn verscheucht hatte wie Ungeziefer, und ging schneller.
Als ich ihn endlich entdeckte, stand er zwischen zwei Eichen an einer Weggabelung und sah sich um, als wäre er sich nicht sicher, welche Richtung er einschlagen sollte. Er drehte den Kopf, unsere Blicke trafen sich, und er hob entschuldigend die Hände.
»Ich habe versucht, dir aus dem Weg zu gehen«, rief er. Seine Stimme war dunkler, als ich erwartet hatte. »Verzeih, ich werde dich nicht länger belästigen.«
Rasch wandte er sich ab, ging mit ausholenden, schnellen Schritten den Weg entlang, fort von mir.
Ich zögerte, sah mich einen Moment selbst, so wie mich andere sehen mussten: eine Novizin in ihrem Habit, einem Mann hinterherstarrend. Stimmen stiegen in mir auf.
Durchtrieben. Unverschämt. Ungehorsam.
Gott allein weiß, was du dort draußen in diesem Wald treibst.
Mit der Zunge fuhr ich mir über trockene Lippen.
»Warte!«, rief ich.
Er blieb stehen.
Kapitel 18
Sein Name war Jacob.
»Ich bin Lehrling beim Apotheker Erasmus hinter dem Dom«, sagte er, während wir den Weg entlanggingen, zurück zur Stadt.
Ich versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen, aber es fiel mir schwer, mich auf das
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