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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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kümmere mich um meine Angelegenheiten, nicht um die anderer.«
    Es war eine ausweichende, faule Antwort, und ich sah ihr an, dass sie das wusste.
    »Wenn du wirklich wissen …«, begann sie, doch das Schlagen einer Tür unterbrach sie. Maria fuhr erschrocken herum, die Kerze flackerte.
    Jemand schrie laut und gellend draußen im Gang, und ich glaubte, Benediktas Stimme zu erkennen. Andere Stimmen, drängend, befehlend, antworteten.
    Ich lief an Maria vorbei hinaus. Um mich herum öffneten sich Zellentüren, Nonnen und Novizinnen traten heraus, doch manche wagten es nur, durch den Türspalt zu linsen.
    Benediktas Zelle lag am anderen Ende des Gangs. Sie teilte sie sich mit zwei anderen Mädchen, Ottilie und Elzebeth. Ich sah die beiden vor der Tür stehen, den Blick in die Zelle gerichtet. Sie hielten sich in den Armen, und ihre Gesichter waren schreckensstarr und tränennass. Neben ihnen an der Wand hingen zwei Öllampen. Ich fragte mich, wer sie mitgebracht hatte.
    »Stell dich nicht so an!« Johannitas Stimme hallte aus der Zelle, während ich darauf zulief.
    »Ketlin!« Maria hielt mich am Schleier fest, aber ich riss mich mit einem Ruck los. Die anderen Mädchen standen unsicher da, kaum eine wagte es, sich der Zelle zu nähern. Benedikta schrie immer noch, aber es klang atemloser als vorhin. Ich schob mich an den Novizinnen vorbei und sah in die Zelle …
    Benedikta lag am Boden, Johannita und Ursula hockten auf ihr wie dunkle Krähen über einem Kadaver, die Knie auf Benediktas Arme gepresst, während eine kräftige junge Nonne namens Mechthild auf ihren Beinen saß.
    Mutter Immaculata stand an der Wand unter dem hölzernen Kreuz, das in jeder Zelle hing. Sie stützte sich auf ihren Stock und betrachtete die Vorgänge mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck.
    »Ihr müsst sie besser festhalten.«
    Die Stimme gehörte Ysentrud, der Nonne, die das Hospital leitete. Sie selbst wurde von der Tür verdeckt.
    »Wie denn?«, schrie Johannita.
    Benedikta warf sich auf dem Boden hin und her. »Ihr wollt es umbringen! Ihr wollt Gottes Kind umbringen!«
    Gottes Kind?
    Wie eine Flamme sprangen die Worte von einer zur anderen und entzündeten unsere Gedanken. So oft hörten wir Geschichten über die Rückkehr des Messias und den Beginn der Apokalypse, dass uns die Vorstellung ganz und gar vertraut war. Ich glaube, dass es keine unter uns gab, die nicht darauf hoffte, dass zu ihrer Lebenszeit die Apokalypse eintreten möge.
    »Das ist nicht Gottes Kind!« Johannitas Stimme donnerte durch den Flur. Mit einer Hand holte sie aus, schlug Benedikta auf die Wangen, einmal rechts, einmal links. Das Mädchen schrie, hörte aber nicht auf, sich zu wehren.
    Wieder schlug Johannita zu. Das hässliche Klatschen ließ mich zurückweichen. Unwillkürlich spürte ich wieder das Brennen auf der Wange, dort, wo mich Johannitas Hand getroffen hatte.
    »Lass sie in Ruhe«, stieß ich hervor, zu leise, um über die Schreie gehört zu werden. Um mich herum fielen die Novizinnen auf die Knie und begannen zu beten, jede sagte etwas anderes. Das Stimmengewirr erstickte meine Gedanken.
    Ich machte einen Schritt nach vorn. »Lasst sie in Ruhe!«, wiederholte ich, dieses Mal lauter.
    Eine Stimme, die ich nur flüchtig kannte, nahm den Ruf auf. »Lasst sie in Ruhe!«
    Dann noch eine und noch eine, bis die Gebete verstummten und ich nichts mehr hörte außer »Lasst sie in Ruhe! – Lasst sie in Ruhe!«
    Johannita fuhr herum und kam schwerfällig auf die Beine. Benedikta war so benommen, dass sie sich kaum noch wehrte, nur stöhnte und den Kopf wegdrehte, als Schwester Ysentrud neben ihr in die Knie ging und den Kelch, den sie in beiden Händen hielt, ausstreckte wie zur Kommunion.
    »Lasst sie in Ruhe!«
    Schwester Johannita blieb vor uns stehen. Ihr Blick glitt über Nonnen und Novizinnen, so als wolle sie sich jedes einzelne Gesicht merken. Die Rufe wurden leiser, aus dem Chor wurden vereinzelte Stimmen, die schließlich verstummten.
    »Geht ins Bett, und zwar sofort!«, sagte Johannita. »Wer hier noch steht, wenn ich die Zelle verlasse, wird sich wünschen, niemals auch nur einen Fuß hinter diese Mauern gesetzt zu haben!«
    Mit einem Knall schlug sie die Tür zu.
    Um mich herum wandte sich eine Frau nach der anderen ab. Mit gesenkten Köpfen gingen sie zurück in ihre Zellen. Ich blieb stehen, versuchte durch das vergitterte Türfenster ins Innere des Raums zu sehen, doch der Blick wurde mir verwehrt; ich nahm an, dass sich Johannita davorgestellt

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