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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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den Mund. Die Geste verstörte mich mehr als das, was sie sagte. Die Benedikta, die ich kannte, hätte ihr Habit niemals auf diese Weise beschmutzt.
    »Doch dann, auf einmal, war es in mir. Ich wachte nachts auf und spürte, wie die Hand Gottes über meinen Bauch strich und er tief in mir …« Sie brach ab. Das sanfte Lächeln, das ich immer so gemocht hatte, erhellte ihr ganzes geschundenes Gesicht. »Er hat mich gefickt, Ketlin. Jesus hat mich gefickt.«
    Ich sprang auf. Mein Holzlöffel fiel polternd vom Tisch, auf die Bank und dann auf den steinernen Boden. Köpfe fuhren hoch, Blicke wandten sich mir zu, doch ich sah nur Benediktas Lächeln, hörte die schrecklichen Worte.
    Schwester Johannita rief mich zurück, als ich aus dem Refektorium lief, aber ich blieb erst auf der Treppe stehen, als mir plötzlich übel wurde und ich mich zusammenkrümmen musste.
    Ich übergab mich auf dem ersten Absatz. Jemand nahm mich von hinten in die Arme und hielt mich fest.
    »Lass es raus, alles wird gut«, sagte Schwester Maria.
    Ich hatte nicht viel gegessen. Ich würgte zwei, drei Mal, dann war es vorbei.
    Maria führte mich zu einer Steinbank und setzte sich neben mich. »Was hat sie gesagt?«
    Ich erzählte ihr alles, ließ nur das Wort aus, das Benedikta benutzt hatte. Maria wirkte weder entsetzt noch überrascht, nickte nur ab und zu und hörte mir ansonsten ruhig zu.
    »So etwas geschieht nicht zum ersten Mal in diesen Mauern«, sagte sie schließlich. »Nonnen werden schwanger, selbst die tugendhaftesten. Draußen in der Welt erzählt man sich Geschichten über lüsterne Mönche und …«
    Ich unterbrach sie. »Schwester Benedikta? Glaubst du das wirklich?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir sollten für Schwester Benedikta beten. Es wird kein Kind aus dieser Schwangerschaft entstehen, kein Mönch hat sie entehrt. Der Teufel hat sich ihrer bemächtigt, um unseren Glauben zu verhöhnen. Schwester Johannita wollte mir das nicht glauben, aber sie wird ihre Meinung ändern, wenn ich ihr berichte, was du mir gerade erzählt hast. Der Teufel ist in Schwester Benedikta eingedrungen. Wir müssen ihr helfen, ihn zu bekämpfen. Das ist die Prüfung, die der Herr uns auferlegt hat.« Sie stand auf. »Ich danke dir für deine Hilfe. Geh nun und bete für deine Schwester.«
    »Das werde ich.«
    Ich verbrachte den Tag mit der Stirn auf dem Boden der Kapelle, den Blick auf das helle Rechteck des Fensters gerichtet, das dem Lauf der Sonne folgend langsam durch den Raum kroch, und sehnte den nächsten Morgen herbei.

Kapitel 19
    Wir trafen uns fast jeden Tag. Anfangs achtete Jacob darauf, mir nicht zu nahe zu kommen, doch das änderte sich, je öfter wir miteinander sprachen und je besser wir uns gegenseitig kennenlernten. Manchmal berührten sich unsere Hände zufällig, dann lachten wir jedes Mal, wenn das geschah und entschuldigten uns.
    Ich verriet ihm alles über mich, wer ich war, woher ich kam und wie ich ins Kloster gekommen war. Ich weinte, als ich ihm von meiner Mutter erzählte, und er tröstete mich mit Worten und einer flüchtigen Berührung, kurz und so leicht wie eine Sommerbrise.
    Er kam aus Worms. Sein Vater war Hutmacher, sein älterer Bruder würde das Geschäft übernehmen. Er behauptete zunächst, das wäre alles, was es über ihn zu sagen gäbe.
    Eines Tages, zwei Wochen nach unserer ersten Unterhaltung, saßen wir gemeinsam im Gras und blickten auf den Teich hinaus, und ich fragte ihn nach seinen Träumen.
    »Träume?« Er lachte, aber es war nicht das Jungenlachen, das ich kannte, sondern das eines älteren, verbitterten Mannes. »Ich wollte Arzt werden, das war immer mein Traum. Mein Vater bestärkte mich darin, meine Mutter hielt das für Unfug. Ich ging zu unserem Apotheker und hörte ihm zu, wenn er mit den Wundärzten über Krankheiten und deren Heilung sprach, doch eines Tages kam ein dunkelhäutiger Mann in sein Geschäft, der Leibarzt des Bischofs, wie sich herausstellte.« Jacob griff nach einem Grashalm und drehte ihn zwischen den Fingern. »Er fragte mich, weshalb ein Junge wie ich bei einem Apotheker sitzen und nicht mit den anderen spielen würde, und ich sagte ihm, dass ich Wundarzt werden wolle. Da lachte er und erzählte mir, in Worms könne ich nichts lernen, und wenn etwas aus mir werden solle, müsste ich nach Konstantinopel gehen. Oder noch weiter.«
    »Konstantinopel?« Da war es wieder, das Wort mit seinem magischen Klang.
    Jacob nickte. »Er sagte, alle guten Ärzte seien Sarazenen oder

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