Die Nonne und der Tod
beiden Händen halten, als wäre er eine Flöte, damit sie die Suppe nicht verschüttete. Es ging ihr mit jedem Tag schlechter. Ihr Gesicht, obwohl längst abgeschwollen, wirkte breiter als zuvor, blass und teigig. Ein gelblicher Schimmer lag in ihren Augen, und als ich am Morgen an ihr vorbeigegangen war, hatte ich den Gestank gerochen, der von ihr ausging.
Ich werde mit Schwester Ysentrud reden , dachte ich, vielleicht um mein Gewissen zu beruhigen. Wir müssen etwas tun.
Ich wusste, dass Benedikta Johanniskraut gegen ihre Melancholie bekam, aber ich befürchtete, dass sie zu viel davon nahm und ihre Körpersäfte ins Ungleichgewicht geraten waren. Jacob hatte mir erklärt, wie Apotheker über die Harmonie des Körpers dachten. Es interessierte mich, und ich hoffte, dass Ysentrud mehr davon verstand als ich.
Wir aßen schweigend, so wie immer, doch als Schwester Johannita zusammen mit der ehrwürdigen Mutter das Refektorium verlassen wollte, hielt ich sie auf. Auf dem Weg zum Kloster – nicht zum ersten Mal fiel mir auf, dass ich es auch nach fast einem halben Jahr immer noch nicht als Zuhause bezeichnete – war mir eine Idee gekommen.
»Ich möchte wieder mit der Arbeit an den Pergamenten weitermachen«, sagte ich.
Schwester Johannita hob die Augenbrauen, und ich glaubte so etwas wie Genugtuung in ihrem Blick zu sehen. »Wird die Arbeit im Garten nun doch zu viel?«, fragte sie mit spürbar vorgetäuschter Besorgnis.
»Nein, ich würde dort gerne weiterhin tätig sein«, sagte ich. »Ich möchte die Arbeit an den Pergamenten dennoch wieder aufnehmen und mich dieser Aufgabe widmen, wenn ich im Garten fertig bin. Ich werde nicht mehr so viel wie früher schaffen, aber ich möchte dennoch auch dich unterstützen.«
»Warum noch diese zusätzliche Arbeit?«, fragte Schwester Johannita irritiert.
»Weil ich das Gefühl habe, mich nützlich machen zu müssen«, log ich, »nützlicher, als ich es zurzeit bin. Durch die Arbeit erfahre ich Demut, und die weist mir den Weg zum Herrn.«
Schwester Johannita öffnete den Mund, entweder um noch eine weitere Frage zu stellen, oder um mein Angebot abzulehnen, doch die ehrwürdige Mutter kam ihr zuvor und ergriff das Wort: »Eine löbliche Einstellung. Dein Wunsch sei dir gewährt, Schwester Ketlin.«
Abends in meiner Zelle, als ich den ersten Stapel Pergament auf den Tisch legte, bat ich Gott um Vergebung, dann zog ich die kleinsten Fetzen aus dem Stapel und versteckte sie unter dem Stroh. Ich wusste, dass Schwester Johannita die Pergamente, die sie mir zum Abkratzen gab, nicht nachzählte.
Am nächsten Morgen, als ich nach der Laudes in meine Zelle zurückkehrte, nähte ich die Fetzen zusammen, danach stahl ich Tinte aus der Küche und eine Feder aus dem Skriptorium, in das ich ging, um Johannita die abgekratzten Pergamente zu bringen.
Anschließend begann ich mit meinem Geschenk für Jacob. Mit Nadel und Faden befestigte ich getrocknete Kräuter auf den Pergamenten und schrieb mit der Tinte Namen, Beschreibung, Wirkungsweise und Anwendung daneben.
Das Buch wurde mit jedem Tag dicker. Viele Pflanzen musste ich aufmalen, weil ich sie nicht fand oder sie nicht schnell genug getrocknet wären, und manchmal erwachte ich nachts und schrieb im Dunkeln rasch einen Namen auf, den ich ansonsten vielleicht vergessen hätte.
Fast jeden Tag ging ich in den Wald und suchte vor allem seltene Pflanzen, von denen ich wusste, dass Jacob sie nicht kannte.
Am vierzehnten Tag nach unserer letzten Umarmung war das Buch so dick, dass ich es unter meinem Rücken spürte, wenn ich mich hinlegte.
Ich hatte das Buch nicht bei mir, als Schwester Agnes an diesem Morgen die Pforte hinter mir schloss und ich in die Gasse zum Westtor einbog. Es war vielleicht Aberglaube, aber ich wollte das Schicksal nicht herausfordern, indem ich so tat, als wäre Jacobs Rückkehr nur eine Frage der Zeit und hinge nicht vom Willen Gottes ab.
Ich versuchte, mir keine Hoffnungen zu machen. Es waren gerade erst zwei Wochen vergangen, und Jacob hatte gesagt, dass es länger dauern könnte. Trotzdem ging ich schneller als sonst …
Und blieb überrascht stehen, als ich die Menschen vor dem geschlossenen Tor sah.
Es waren fast zwei Dutzend, teils Bauern, die sich schon sehr früh in die Stadt begeben hatten, um Waren zu verkaufen oder andere Geschäfte zu tätigen, und nun zurück zu ihren Höfen wollten, teils Händler, die Erledigungen außerhalb der Stadt zu besorgen hatten. Soldaten mit Speeren standen
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