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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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vom päpstlichen Nuntius und Bischof von Fano, Ippolito Capilupi, an den Kardinal Borromeo, päpstlicher Sekretär in Venedig. Er ist datiert auf den 9. Oktober 1561. Darin steht, dass sich der Abt Lion trotz seines frommen Wesens, gelehrt in der lateinischen und griechischen Sprache, zur Rechenschaft ziehen lassen müsste. Er erfreute sich der Kontakte zu höchstgestellten Personen, wurde vom Dogen und von allen Männern des Herrschaftsgebietes geliebt, und immer wieder sprach er mit ihnen über seine heilige Arbeit. Doch er hat das Vertrauen des Nuntius schändlich missbraucht, indem er in seinem Kloster neunzehn Jahre lang Unzucht trieb und seine Schützlinge missbrauchte, quälte und als Huren an reiche Männer vermietete.«
    Es war totenstill im Raum geworden. Celina schautezum Fenster hin, wo die Sonne schräg durch die Glasscheiben schien.
    Allmählich löste sich der Inquisitor aus seiner Erstarrung.
    »Ich unterbreche die Verhandlung bis zum morgigen Tag«, sagte er dumpf.
    »Dürfen wir jetzt einfach so gehen?«, fragte Celina erstaunt, nachdem die Inquisitoren, der Schreiber und die Männer des Zehnerrates sich entfernt hatten.
    »Ich glaube, sie waren zu verwirrt, um noch irgendwelche Anordnungen treffen zu können«, meinte Brinello. »Wartet ab, der Skandal wird noch weite Kreise ziehen. Eine Zeitlang wird man vielleicht das, was man uns vorwirft, vergessen.«
    Im Hof des Palastes trafen sie eine aufgebrachte Menge, die sich um die Urteilsverkündung betrogen sah.
    »Da sind sie, die elenden Ketzer«, riefen einige, doch als sie sahen, dass sich der Abt Murare und das Ratsmitglied Immuti bei ihnen befanden, wichen sie zurück.
    Am nächsten Tag fanden sich die vier zusammen mit den Gerichtsbesuchern im Saal des Zehnerrates ein. Der Inquisitor betrat mit den anderen den Raum und setzte der Unruhe unter den Zuhörern ein Ende.
    »Es wurde ein Bote zum Abt Lion geschickt, um ihn, die Priorin von Convertite und Suor Mathilda aus dem Kloster San Zaccaria vor Gericht zu bringen«, sagte er. »Die Priorin von Convertite habe ich gleich in unser Gefängnis nebenan schaffen lassen. Die beiden anderen, Lion und Mathilda, waren spurlos verschwunden.«
    Bei diesen Worten wurde es Celina ganz kalt. Der Abt war auf der Flucht, Suor Mathilda ebenso, und der Mörder lief immer noch frei herum!
    »Angesichts der Schwere der Verbrechen, dessen derAbt Lion und Suor Mathilda sich schuldig gemacht haben, breche ich über sie den Stab und spreche folgendes Urteil aus: Wegen des Vergehens der Unzucht mit Hunderten junger Nonnen, Diebstahls, Betruges und Täuschung der Behörden sowie der Anstiftung zum Mord in einem Fall soll Giovanni Pietro Lion ergriffen, in den Kerker geworfen und Ende des Monats auf dem Markusplatz enthauptet werden. Die beiden Äbtissinnen werden aus der Stadt verbannt. Eugenio Gargana mit seiner Frau Faustina kommen wegen Betruges, zwangsweiser Unterbringung ihrer Nichte in einem Kloster und Erbschleicherei fünf Jahre in den Kerker, anschließend werden sie auf immer verbannt. Den Senat, den Zehnerrat und den Dogen trifft keine Schuld, weil Lion sie gekonnt getäuscht hat – über viele Jahre lang. Das Ketzerverfahren wird abgetrennt und nach Vollstreckung des Todesurteils wiederaufgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen sich die Angeklagten nicht aus der Stadt entfernen. Verhandelt und beschlossen am 15. des Oktober 1561. So wahr uns Gott helfe, Amen.«
    Die Menge brach in Jubel aus, da es doch noch ein Todesurteil gegeben hatte. Celina war erschüttert von allem, was sie gehört hatte. In dem Tumult, der entstand, gelang es ihr und den drei Männern, unbehelligt zu entkommen.

33.
    Eine große Last war von Celina abgefallen. Auf der anderen Seite hatte sie das beklemmende Gefühl, vom Schatten Lions und des Mannes mit der Totenmaske verfolgt zu werden. Während sie die breite Treppe hinuntereilten, gingen ihr immer wieder Bilder durch den Kopf, vom Abt, vom geflügelten Löwen, der sich in die Luft schwang und davonflog. Dieser Löwe war überall: Hatte sie ihn nicht eben noch gesehen, auf einem Bild, womöglich vom Maler Cavareggio? Sie war froh, als sie das Tor nach draußen durchschritten, den Markusplatz hinter sich ließen und in einem der Gässchen verschwinden konnten. Dort hinten, in dem Kloster San Zaccaria, hatte alles begonnen. Wären ihre Eltern nicht von Piraten verschleppt worden, hätte sich alles ganz anders entwickelt. Bei allem, was jetzt geschah, durfte sie deren Schicksal auf

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