Die Normannen
einheimischen Engländern, die im auf Latein abgefassten
Domesday Book
als
Angli
bezeichnet werden, standen weniger als 25.000 hier
Franci
genannte Neuankömmlinge aus der Normandie und anderen Gegenden Frankreichs gegenüber, von denen rund 250 alle führenden Positionen in der Hand hatten.Nicht mehr als zehn von diesen, meist Verwandte Wilhelms, besaßen die Hälfte des Landes, der König selbst ein Fünftel und die Kirche den Rest. Man kann also für diese Zeit durchaus von einer Art kolonialer Fremdherrschaft der normannischen Eroberer über England sprechen.
Angesichts der Schwierigkeiten, die eine gemeinsame Regierung Englands und der Normandie mit sich brachten, beschloss Wilhelm am Ende seines Lebens, das anglo-normannische Reich unter seine Söhne (s. Tafel S. 26) aufzuteilen: Der erstgeborene Robert erhielt die Normandie und Maine, während England an seinen Bruder Wilhelm II. fiel, der wohl wegen seiner Haare
Rufus
(der Rote) genannt wurde. Der jüngste Sohn des Eroberers, Heinrich
Beauclerc
(schöner Kleriker) – ein späterer Beiname, der entweder darauf zurückgeht, dass er ursprünglich Geistlicher werden sollte, oder auf seine für einen Laien ungewöhnlich gute Bildung hinweist –, wurde mit 5000 Pfund Silber entschädigt. Diese Erbteilung sollte sich als wenig glücklich erweisen, denn abgesehen davon, dass keiner der Brüder mit dem ihm zugewiesenen Anteil zufrieden war, besaßen viele Adlige beiderseits des Kanals Lehen und Besitzungen. Damit dienten sie nun zwei Herren: Robert in der Normandie und Wilhelm II. in England. Loyalitätskonflikte wurden unvermeidlich, vor allem wenn es zum Streit zwischen den Brüdern kam, was bald der Fall war.
Die Königsherrschaft Wilhelms II. (1087–1100) war eine unruhige Zeit. Robert unterstützte einen Aufstand in England (1088), der jedoch wenig Erfolg hatte. Daraufhin griff Wilhelm seinen Bruder in der Normandie an und zwang ihn, ihm einige Gebiete östlich der Seine abzutreten. An den Kämpfen beteiligte sich auf wechselnden Seiten der jüngste Bruder Heinrich, der sein Geld in zwei Grafschaften im Westen der Normandie angelegt hatte und ein ständiger Unruhefaktor blieb. Erst als Herzog Robert 1096 zum Kreuzzug nach Jerusalem aufbrach und zur Finanzierung des Unternehmens Wilhelm die Normandie auf drei Jahre verpfändete, beruhigte sich die Lage. Der anglo-normannische König musste allerdings das Vexin, die umstrittene Grenzlandschaft an der Südostgrenze der Normandie, demfranzösischen König überlassen; die Grafschaft Maine unterstand ihm zwar offiziell noch, fiel aber bald (nach 1100) in die Hände des Grafen von Anjou.
Die Konsolidierung Am 2. August 1100 wurde der unverheiratete und kinderlose Wilhelm II. Opfer eines Jagdunfalls, dessen genaue Umstände nie geklärt wurden. Da nun sein jüngerer Bruder Heinrich auf den Thron kam – der ältere Bruder, Herzog Robert, war noch im Heiligen Land –, konnte der Verdacht aufkommen, Heinrich habe dabei seine Hand im Spiel gehabt. Wie dem auch sei, Heinrich I. ließ sich unmittelbar nach dem Tod Wilhelms II. zum König wählen und wenige Tage später krönen. Damit schuf er vollendete Tatsachen. Als Robert vom Kreuzzug heimkehrte und Ansprüche auf den Thron anmeldete, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen, aus denen Heinrich schließlich in der Schlacht bei Tinchebray in der Nähe von Domfront 1106 als Sieger hervorging. Robert verlor das Herzogtum Normandie und musste den Rest seines Lebens in Haft verbringen. Nun waren die Normandie und England wieder in einer Hand.
Ein Jahr später (1107) konnte Heinrich I. einen wichtigen Erfolg erzielen: Er einigte sich mit der Kirche über die Rolle des Herrschers bei der Einsetzung (Investitur) der Bischöfe. Das Streben der Kirche nach Freiheit von weltlichem Einfluss (
libertas ecclesiae
) hatte in Deutschland zum sogenannten Investiturstreit geführt, in dessen Verlauf der vom Papst exkommunizierte und abgesetzte Heinrich IV. seinen berühmten Gang nach Canossa (1077) antrat. Streitpunkt war allerdings nicht nur die Einsetzung der Bischöfe, sondern auch grundsätzlich das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst als den beiden höchsten weltlichen und geistlichen Autoritäten des christlichen Europa gewesen. Dies erschwerte eine Einigung. In Frankreich und England blieben die Meinungsverschiedenheiten zwischen Monarchie und Kirche hingegen auf wenige konkrete Probleme beschränkt. Dabei gingen beide Seiten pragmatisch vor und waren zu
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