Die Normannen
Richard geriet auf dem Rückweg in die Gefangenschaft des österreichischen Herzogs Leopold V., der sich wegen einer von diesem im Heiligen Land erlittenen Beleidigung rächen wollte. Der Österreicher lieferte Richard schließlich an Barbarossas Nachfolger Heinrich VI. aus, der ihn auf dem Trifels in der Pfalz gefangen hielt und erst nach Zahlung eines hohen Lösegelds freiließ.
Im Februar 1194 kehrte Richard nach England zurück, wo er sich während seiner Königsherrschaft insgesamt lediglich sechs Monate aufhielt. In Frankreich konnte er sich nur mühsam gegen Philipp II. durchsetzen und das Vexin, das er kurz zuvor hatte abtreten müssen, zurückerobern. Mit dem Bau von Château Gaillard im Seinetal sicherte er zwar die Südostgrenze der Normandie, doch dann starb er 1199 an den Folgen einer Verletzung, die er sich im Kampf gegen einen Lehnsmann im Limousin zugezogen hatte.
Das Ende der normannisch-englischen Verbindung Richards Nachfolger Johann (1199–1216) hatte ebenfalls große Schwierigkeiten, sich in Frankreich gegen Philipp II. zu behaupten: Er musste ihm das Vexin und umstrittenes Gebiet im Berry am Südrand des Pariser Beckens abtreten. In einem vom französischen König eingeleiteten Lehnsprozess wurden Johann seine Lehen in Frankreich entzogen. Sein Widerstand war erfolglos: Ende 1203 musste er sich nach England zurückziehen. 1204 verlor er die Normandie, das Anjou und den nördlichen Teil des Poitou (mit Poitiers). Lediglich in Aquitanien und dem übrigen Anjou konnte er sich behaupten. Durch einen Konflikt mit Papst Innozenz III. (gest. 1216), der 1208 die Kirchenstrafe des Interdikts über England aussprach, wurde Johanns Ansehen weiter beschädigt.
Angesichts des wachsenden Widerstands der englischen Barone musste der König 1213 die päpstliche Oberhoheit über das Königreich England anerkennen. Seine Niederlage gegen den französischen König in der Schlacht von Bouvines (östlich von Lille) 1214 war ein weiteres Debakel, das das Ende des angevinischen Großreichs besiegelte. Johann konzentrierte sich nun ganz auf England. Hier musste er im folgenden Jahr den Baronen in der sogenannten
Magna Carta Libertatum
(Große Freiheitsurkunde) weitgehende Mitbestimmungsrechte bei der Regierung zugestehen. Damit war für England langfristig der Weg zur konstitutionellen Monarchie bereitet.
Das angevinische Reich scheiterte letztlich nicht an der Unzulänglichkeit einzelner Herrscher wie Richard Löwenherz oder Johann Ohneland, sondern an seinen strukturellen Problemen: Aufgrund seines Territoriums, das von Irland bis zu den Pyrenäen reichte, war es für die begrenzten Möglichkeiten mittelalterlicher Herrschaft zu groß und zu heterogen. Ihm fehlten ein Zentrum, ein integrierender angevinischer Adel, ein Name und ein Reichsbewusstsein.
Während der Regierungszeit Heinrichs II. war die anglo-normannische Tradition noch präsent, und die personellen und kulturellen Verbindungen zwischen England und Frankreich verstärkten sich. Andererseits ging in England der Assimilationsprozesszwischen normannischstämmigen und einheimischen Familien weiter. Richard Fitz-Nigel schrieb um 1178, dass man nach den vielen Mischehen in der Ober- und Mittelschicht Englands kaum noch zwischen
Anglici
(Engländern) und
Normanni
(Normannen) unterscheiden könne. Eine neue englische Identität entstand, in der angelsächsische und normannische Traditionen aufgingen. In diesem Prozess der Integration und Assimilation spielten die gemeinsame Religion, die integrierende Kraft der auf Rom ausgerichteten Kirche und kulturelle Affinitäten eine wichtige Rolle. Unter den Königen Richard Löwenherz und Johann Ohneland verstärkte sich das Bewusstsein einer spezifisch englischen Identität (
englishness
); das normannische Element war nur noch eine historische Reminiszenz.
Entscheidend für die endgültige Auflösung der 1066 eingeleiteten normannisch-englischen Verbindung war nicht nur die 1204 erfolgte Unterstellung der Normandie unter die direkte Herrschaft des Königs von Frankreich, sondern auch und vor allem das im selben Jahr von Johann ausgesprochene Verbot für englische Adelsfamilien, in der Normandie Landbesitz zu haben. Er reagierte damit auf eine Verfügung Philipps II., nach der alle in England ansässigen normannischen Adligen in die Normandie zurückkehren mussten, wenn sie nicht ihre dortigen Besitzungen verlieren wollten. Dies war das Ende der länderübergreifenden adligen anglo-normannischen
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