Die Normannen
Führungsschicht. Die Nabelschnur zwischen Normandie und England war zerschnitten. Der Ärmelkanal verband ab jetzt nicht mehr, sondern grenzte ab.
Mit der Eingliederung in die französische Krondomäne verlor die Normandie ihren Status als Herzogtum. Sie bewahrte aber ihre regionale Identität. Im Unterschied zu anderen Gebieten des
Angevin Empire
wie den Grafschaften Anjou, Maine und Poitou, die zur Ausstattung jüngerer Königssöhne benutzt wurden, blieb die Normandie in den folgenden Jahrhunderten unter der direkten Herrschaft des Monarchen. Bis zur Französischen Revolution (1789) behielt sie mit Hilfe alter Privilegien in Finanzverwaltung und Rechtsprechung eine Sonderstellung.
Die Konflikte zwischen den einheimischen Angelsachsen und den normannischen Eroberern Englands lieferten schließlich auch den Stoff für Walter Scotts historischen Roman
Ivanhoe
(1820): Der tapfere angelsächsische Ritter Wilfred von Ivanhoe kämpft zur Zeit des Kreuzzugs von Richard Löwenherz gegen die normannischen Unterdrücker. Dabei findet er die Unterstützung eines angelsächsischen Geächteten namens Robin von Locksley (Robin Hood). Die in Scotts Roman enthaltene Mischung aus Sage, Fakten und Fiktion hat nicht zuletzt durch ihre Verfilmungen das Mittelalterbild eines breiten Publikums geprägt.
Die ersten Könige von England aus der Dynastie Plantagenêt:
Heinrich II.
1154–1189
Richard I. Löwenherz
1189–1199
Johann Ohneland
1199–1216
III. Die Verlockungen des Südens
1. Die Normannen in Italien
Pilger, Söldner, Einwanderer Vor dem Jahr 1000 nach Christus kamen 40 Pilger nach Salerno, das damals von Sarazenen belagert wurde und in einer so verzweifelten Lage war, dass es sich ergeben wollte. Die Stadt war bereits seit längerem den Sarazenen tributpflichtig, und jedes Mal, wenn sie mit der Zahlung des jährlichen Tributs im Rückstand war, kamen die Sarazenen mit ihren Schiffen und plünderten und töteten im Umland. Die Pilger aus der Normandie konnten es nicht dulden, dass Christen auf solch schändliche Weise von Sarazenen unterdrückt wurden. Sie gingen zu Fürst Waimar, der Salerno mit Gerechtigkeit regierte, und baten ihn um Waffen und Pferde, um gegen die Sarazenen zu kämpfen, und dies nicht wegen Geldes, sondern weil sie den Hochmut der Sarazenen nicht ertragen konnten.
So berichtet der vermutlich aus Salerno gebürtige Mönch Amatus von Montecassino in seiner um 1076/78 entstandenen lateinischenGeschichte der Normannen, die nur in einer nach 1300 angefertigten französischen Übersetzung überliefert ist. Die Ereignisse lagen damals bereits einige Jahrzehnte zurück, doch moderne Historiker haben gezeigt, dass Amatus’ Bericht Vertrauen verdient. Der Mönch schreibt weiter, die Normannen hätten, nachdem sie die Sarazenen besiegt hatten, das Angebot Fürst Waimars III. (gest. 1027), in Salerno zu bleiben, abgelehnt und seien in ihre Heimat zurückgekehrt. Dieser habe ihnen «Zitronen, Mandeln, Konfekt-Nüsse, byzantinische Stoffe und vergoldete Gegenstände» (
citre, amigdole, noiz confites, pailles imperials, ystruments de fer aorné d’or
) mitgegeben, um ihre Landsleute zu überzeugen, in den reichen Süden zu kommen, «wo Milch und Honig fließen».
Von normannischen Pilgern in Süditalien schreibt auch Wilhelm von Apulien in seinem 1095/99 verfassten Geschichtswerk. Normannen, die die Grotte des Erzengels Michael auf dem Monte Gargano in Nordapulien besuchten, hätten dort einen gewissen Meles von Bari getroffen. Dieser habe sie um Hilfe gegen die «Griechen» gebeten, womit die Byzantiner gemeint sind, die damals über Apulien herrschten. Die Normannen hätten versprochen, nach ihrer Rückkehr in die Heimat mit anderen Landsleuten in den Süden zurückzukommen.
Italien war ein Durchgangsland für Jerusalem-Pilger, die sich besonders von Apulien aus ins Heilige Land einschifften. Auf der um das Jahr 1000 immer beliebter werdenden Wallfahrt zu den Stätten des Lebens und Sterbens Jesu Christi besuchte man unterwegs auch andere heilige Orte wie die Apostelgräber in Rom, die erwähnte Michaelsgrotte auf dem Gargano oder später, nachdem dessen Gebeine 1087 dorthin gebracht worden waren, das Grab des heiligen Nikolaus in Bari. Eine Pilgerreise von nördlich der Alpen ins Heilige Land dauerte viele Monate, war teuer und gefährlich. Wallfahrten wurden aus religiöser Begeisterung, als Buße für schwere Vergehen und/oder aus Abenteuerlust unternommen.
Den Nachrichten der Chronisten kann man
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