Die Normannen
sich
Franci
(Normannen) und
Angli
(Angelsachsen/Engländer) noch klar voneinander abgrenzen ließen, wurde eine solche Unterscheidung in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts immer schwieriger, denn viele Eroberer hatten englische Frauen geheiratet. Da man nun im Adel außer Englisch vor allem Französisch sprach, in der Unter- und Mittelschicht hingegen nur Englisch, wurde aus einer ethnischen eine soziale Kategorie: Normannen waren die Mitglieder der von den Eroberern abstammenden Oberschicht, Engländer der Rest der Bevölkerung. Erst unter Heinrich II. bildete sich allmählich ein alle sozialen Schichten umfassendes englisches Eigen- und Gemeinschaftsbewusstsein (s.S. 55, 120), und die normannischen Elemente im Königreich England gingen zugunsten angevinischer Einflüsse zurück. Unter der neuen, aus dem französischen Anjou stammenden Herrscherdynastie spielte die Normandie nur noch eine Nebenrolle.
Die normannischen Könige von England:
Wilhelm I. der Eroberer
1066–1087
Wilhelm II. Rufus
1087–1100
Heinrich I. Beauclerc
1100–1135
Stephan von Blois
1135–1154
3. Das angevinisch-englische Großreich
Durch die mit Heinrich II. einsetzende dynastische Verbindung der englischen Krone mit der Grafschaft Anjou, deren Inhaber, die «Angevinen», entschiedene Gegner der normannischen Herzöge und Könige gewesen waren, und seine Heirat mit Eleonore von Aquitanien entstand ein angevinisch-englisches Großreich.Es bestand neben England und der Normandie, die Heinrich von seiner Mutter geerbt hatte, aus den von seinem Vater hinterlassenen Landschaften Anjou, Maine und Touraine sowie dem von Eleonore mitgebrachten Herzogtum Aquitanien, das verschiedene südfranzösische Grafschaften und Herrschaften umfasste und dessen Zentrum die Städte Poitiers und Bordeaux waren (s. Karte S. 48).
Da somit neben England auch etwa zwei Drittel Frankreichs dem Angevinen Heinrich II. und seinen Nachfolgern unterstanden, hat man in der englischen und französischen Literatur von einem angevinischen Imperium (
Angevin Empire
) gesprochen. Dieser Begriff kann jedoch leicht missverstanden werden. Es handelte sich nämlich um kein wirkliches Reich, sondern um ein Konglomerat verschiedener Territorien, dessen Zusammenhalt allein in der Person des Herrschers bestand: Es verfügte weder über gemeinsame Strukturen und Institutionen noch über einen eigenen Namen. Auf diese Weise erklärt sich auch der komplizierte Titel Heinrichs II.:
rex Anglorum, dux Normannorum et Aquitanorum et comes Andegavorum
(König der Engländer, Herzog der Normannen und Aquitanier und Graf der Angevinen).
Für Heinrich II., der sich in erster Linie als angevinischer Herrscher fühlte, stand, anders als man nach diesem Titel annehmen könnte, nicht England an erster Stelle, sondern das Anjou. Die von ihm begründete Dynastie der Plantagenêts trägt ihren (erst 1460 eingeführten) Namen nach dem Ginsterbusch (
planta genista
), entweder weil Heinrichs Vater diesen als Helmzier benutzt hatte oder aufgrund seiner Gewohnheit, zur Förderung der Jagd als Sichtschutz Ginsterbüsche pflanzen zu lassen. Die Idee, dass mit Heinrich II. eine neue Dynastie eingesetzt hatte, kam erst später in der Rückschau auf. Er selbst sah sich als Sohn Mathildes und somit Urenkel des normannischen Eroberers Wilhelm, also als legitimer Fortsetzer des anglo-normannischen Königshauses.
Der zweite Heinrich auf dem englischen Thron knüpfte an die Politik seines Großvaters Heinrich I. an. Zunächst brachte er in England alle Burgen wieder unter königliche Kontrolle, dannstärkte er die Autorität der Krone über Adel und Kirche. Wales und Schottland mussten die englische Oberhoheit anerkennen (1157). Durch die Heirat seines jüngeren Sohns Gottfried mit der Erbin des Herzogtums Bretagne konnte Heinrich II. 1158 auch diese Region seinem Herrschaftsbereich einverleiben. Während England dank einer effizienten königlichen Verwaltung, die weiter ausgebaut wurde, stabil war, gab es in den verschiedenen französischen Besitzungen Probleme, die immer wieder das persönliche Eingreifen des Herrschers erforderten.
Europäische Beziehungen Der über England und zwei Drittel Frankreichs gebietende Heinrich II. war in Europa ein gefragter Bündnispartner. Sein ältester Sohn Heinrich der Jüngere wurde 1158 im Alter von drei Jahren mit der sechs Monate alten Tochter des französischen Königs Ludwig VII. verlobt. Diese sollte sein Königreich erben, falls Ludwig ohne einen
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