Die Normannen
Dennoch gab der Papst nicht nach und weigerte sich, mit den Normannen eine Übereinkunft zu schließen.
Doch in den folgenden Jahren setzte an der römischen Kurie ein Umdenken ein, das durch drei neue Faktoren bedingt war. Zum einen verschlechterte sich das Verhältnis Roms zu Byzanz: 1054 exkommunizierten sich der päpstliche Gesandte und der Patriarch von Konstantinopel gegenseitig nach Streitigkeiten über den römischen Primatsanspruch und dogmatisch-liturgische Fragen. Zum anderen waren die byzantinischen Kaiser nicht in der Lage, Truppen nach Italien zu senden. Und drittens war nach dem frühen Tod Kaiser Heinrichs III. (1056), der einen unmündigen Nachfolger hinterließ, auch von nördlich der Alpen keine Hilfe mehr zu erwarten. Die einzige politische Option, die den Päpsten blieb, war eine Einigung mit den immer mächtiger werdenden Normannen.
Robert Guiscard, der 1057 die Nachfolge seines Bruders Humfred als Führer der Normannen in Apulien antrat, stärkte seine Stellung durch eine Allianz mit Fürst Gisulf II. von Salerno, dessen Schwester Sikelgaita er Ende 1058 heiratete. Die Ehe mit Alberada, die ihm einen Sohn, Bohemund, den späteren Kreuzfahrer und Fürsten von Antiochia, geboren hatte, ließ Robert für ungültig erklären. Als Grund führte er seine kirchenrechtlich ein Ehehindernis darstellende Verwandtschaft mit Alberada an, die ihm zuvor entgangen war. Auch die Normannen von Aversa blieben nicht untätig: Ihr Führer, Graf Richard, eroberte Capua und legte sich eigenmächtig den Titel des Fürsten von Capua zu. Abt Desiderius von Montecassino machtegute Miene zum bösen Spiel und empfing den neuen Fürsten im Kloster des heiligen Benedikt «wie einen König»; dieser bedankte sich mit großzügigen Schenkungen und dem Schutz der Abtei.
Auch in Rom begann man, sich mit den Normannen zu arrangieren: Mit Hilfe von 300 Rittern, die ihm Richard von Aversa schickte, gelang es Papst Nikolaus II., sich gegen seinen Rivalen Benedikt X. durchzusetzen. Im Frühjahr 1059 fand im römischen Lateran eine Synode statt, in der unter anderem die Papstwahl neu geregelt wurde. Einige Monate später zog der Papst nach Melfi, wo er in Anwesenheit der Normannenführer eine weitere Synode abhielt und Richard von Aversa als Fürst von Capua bestätigte. An Robert Guiscard verlieh er den Titel «Herzog von Apulien, von Kalabrien und mit Hilfe Gottes und des heiligen Petrus in Zukunft von Sizilien». Richard und Robert schworen dem Papst die Treue und erkannten ihn als Lehnsherren an. Damit wurden die Eroberungen der Normannen legalisiert und ihre Herrschaft formell anerkannt – bezeichnenderweise durch eine Instanz, die über die Gebiete in Süditalien nicht faktisch verfügte, sondern allenfalls ideelle, etwa aus der Konstantinischen Schenkung abgeleitete Ansprüche geltend machen konnte. Beide Parteien profitierten gleichermaßen von der Verbindung: Die Normannen erlangten eine wichtige Legitimation ihres Aufstiegs, der Papst konnte seinen Einfluss über Süditalien demonstrieren und sich der Hilfe starker Verbündeter versichern.
Robert Guiscard hatte durch die ihm vom Papst verliehene Herzogswürde eine Position erlangt, die ihn über die normannischen Grafen stellte. Während er Kalabrien rasch unterwerfen konnte, dauerte es noch zwölf Jahre, bis Apulien unter normannischer Herrschaft stand. Dies lag auch daran, dass einige normannische Grafen, die teilweise mit ihm verwandt waren, auf eigene Faust agierten und sich ihm nicht unterordnen wollten. Robert Guiscard konnte ihre Aufstände, die vom byzantinischen Kaiser mit Geld unterstützt wurden, zwar niederschlagen, doch seine Herrschaft über Apulien erforderte immer wieder seine Präsenz.
Mit der Einnahme der apulischen Hauptstadt Bari, die sich im Frühjahr 1071 nach fast dreijähriger Belagerung ergab, war die Eroberung Apuliens abgeschlossen. Für die Bevölkerung änderte sich dadurch zunächst wenig, sie unterstand jetzt statt dem byzantinischen Kaiser dem normannischen Herzog. Robert Guiscards jüngster Bruder Roger I., der die Eroberung Siziliens, auf die wir noch gesondert eingehen werden, vorantrieb, hatte ihn bei der Eroberung Baris zeitweise unterstützt. Im Gegenzug half Robert ihm anschließend bei der Einnahme der sizilianischen Hauptstadt Palermo, die im Januar 1072 erfolgte.
Kurz zuvor war in Kleinasien ein Ereignis eingetreten, das schwerwiegende Folgen hatte: Das byzantinische Heer erlitt im August 1071 bei der ostanatolischen
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