Die Normannen
konnte (s. Tafel S. 89).
Das Fürstentum Antiochia war bis dahin von einer kleinen Schicht normannischer, meist aus Süditalien gekommener Ritterdominiert worden. Diese Oberschicht wurde jedoch in der Schlacht auf dem Blutfeld (1119) so stark dezimiert, dass Mitglieder anderer im Heiligen Land ansässig gewordener Familien nachrückten. Von einem normannischen Fürstentum Antiochia kann man also nur für die ersten Jahrzehnte seines Bestehens sprechen. Mit dem Regierungsantritt Raimunds von Poitiers (1136) wurde der normannische Einfluss endgültig durch den französischen verdrängt.
Anders als in den anderen Kreuzfahrerherrschaften im Vorderen Orient waren die Strukturen des Fürstentums Antiochia nicht nur von westeuropäischen, sondern auch von byzantinischen Formen geprägt. Ähnlich wie in Süditalien verknüpften die in Antiochia ansässig gewordenen Normannen westliche Ämter, wie das des Marschalls und des Kämmerers, mit solchen byzantinischer Herkunft wie das des
dux
(Leiter der Stadtverwaltung) und des
praetor
(Zivilrichter). Außerdem errichteten sie, ebenfalls wie in Süditalien, neben der bereits bestehenden griechischen eine lateinische Kirchenorganisation.
Das normannische Antiochia mit seiner multikulturellen Bevölkerung, in der die christliche Religion und die griechische und arabische Sprache dominierten, spielte im arabisch-westlichen Kulturtransfer eine lange unterschätzte Rolle: Hier lernte der englische Mathematiker Adelard von Bath, der vorher Sizilien besucht hatte, vermutlich um 1120 Arabisch und erwarb erste Kenntnisse der arabischen Naturwissenschaft, bevor er in seine Heimat zurückkehrte. Ein anderer westeuropäischer Gelehrter, der um diese Zeit (um 1125–27) aus den gleichen Motiven nach Antiochia kam, entschloss sich sogar, dort zu bleiben. Es handelt sich um Stephan von Pisa (auch als Stephan von Antiochia bekannt), der medizinische, astronomische und mathematische Werke aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzte und nach Europa vermittelte. Anders als man bisher angenommen hat, brachte nicht Leonardo Fibonacci um 1200 die indisch-arabischen Ziffern (und die dadurch erleichterten Rechenoperationen) nach Europa, sondern Stephan bereits mehr als 50 Jahre zuvor (Lohrmann). Bemerkenswert ist auch das Bild des friedlichen Zusammenlebens von Christen und Muslimenin Antiochia, das im Werk des syrischen Dichters Ibn al-Qaysarāni (gest. 1153) zum Ausdruck kommt.
Negative Auswirkungen auf die Zukunft des Fürstentums Antiochia hatte die Vernichtung der Grafschaft Edessa (1144) durch Zengi (Imād ad-Dīn Zangī), den türkischen Herrn von Mosul und Aleppo. Sein Sohn und Nachfolger Nur ad-Dīn (1146–74) errang 1149 einen bedeutenden Sieg über Fürst Raimund, der im Kampf den Tod fand. Indem er die Idee des Heiligen Kriegs (arab.
jihād
) propagierte, die in den vergangenen Jahrhunderten in den Hintergrund getreten war, gelang es Nur ad-Dīn, die islamischen Kräfte in Syrien zu vereinen. Der Heilige Krieg richtete sich nicht nur gegen die Kreuzfahrer, sondern auch gegen die Schiiten, die von den Sunniten als Ketzer angesehen wurden.
Bereits einige Jahre zuvor (1137) hatte der byzantinische Kaiser Johannes II. Fürst Raimund von Antiochia gezwungen, sich ihm zu unterwerfen. Nach dem Fall von Edessa (1144) war das Fürstentum Antiochia die nördlichste Kreuzfahrerherrschaft und auf die Unterstützung von Byzanz angewiesen. Als die Byzantiner 1176 in Myriokephalon von den Seldschuken vernichtend geschlagen wurden und Saladin (Salah ad-Dīn) im Jahre 1187 Jerusalem eroberte, verschlechterte sich die Lage der Kreuzritter zunehmend. Das Fürstentum Antiochia überlebte immerhin noch bis 1268, aber nur weil es sich immer enger mit dem 1198 in Kilikien entstandenen kleinarmenischen Königreich verband und schließlich praktisch in diesem aufging. Die Reihe von Fürsten von Antiochia, die sich Bohemund nannten (der letzte war Bohemund VII., gest. 1287), hatte mit dem normannischen Begründer des Fürstentums jedoch nichts mehr gemeinsam.
Tarragona: Fürstentum ohne Zukunft Als noch kurzlebiger erwies sich ein anderes normannisches Fürstentum im Mittelmeerraum, das in Tarragona westlich von Barcelona errichtet wurde. Robert Burdet, aus niederem normannischem Adel – die Burdets waren Vasallen der dem normannischen Herzog nahe stehenden Grandmesnil –, begann seine Karriere im Gefolge desGrafen Rotrou II. von Perche. Dieser kämpfte seit 1114 im Rahmen der sogenannten
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