Die Normannen
die er gegen Lösegeld freiließ. Im folgenden Jahr unternahm er einen Angriff auf die fast 200 km nördlich von Antiochia gelegene Stadt Albistan (Elbistan, Türkei). Dann eilte Bohemund mit seinen Rittern nach Edessa, das von einem aus Mesopotamien anrückenden islamischen Heer bedroht wurde. Bei Harran, ca. 40 km südöstlich von Edessa, erlitten die Kreuzritter am 7. Mai 1104 eine vernichtende Niederlage. Die Folgen waren verheerend: Balduin von Bourcq, der Regent von Edessa – seinVetter Balduin von Boulogne war 1100 König von Jerusalem geworden –, und andere führende Kreuzritter gerieten in Gefangenschaft. Nun unterstellten sich die armenischen Städte in Kilikien (Tarsus, Mamistra, Adana), die bisher die Kreuzfahrer unterstützt hatten, wieder dem Kaiser von Byzanz, der außerdem Latakia zurückgewann. Auch ein Großteil der Grafschaft Edessa ging verloren; ihre Regentschaft wurde Bohemunds Vetter Tankred übertragen, der sie an Richard von Principato (s. Tafel S. 89) weitergab. Schwer wog, dass die Muslime, denen anfangs die westlichen Ritterheere unbesiegbar schienen, sich jetzt auf deren Kampfesweise eingestellt hatten und erkannten, dass sie diese durchaus zu schlagen vermochten.
Die Fürsten und Regenten von Antiochia (1099–1149)
Bohemund zog die Konsequenzen aus dieser Situation und kehrte 1104/05 nach Italien zurück, um sich Verstärkung zu beschaffen. Von dort pilgerte er Anfang 1106 zum Wallfahrtsort Saint-Léonard in Noblat (bei Limoges), um ein Gelübde einzulösen, das er während seiner Gefangenschaft gegenüber dem heiligen Leonard, dem Schutzpatron der Gefangenen, abgelegt hatte. In Frankreich ließ sich Bohemund als Held des ersten Kreuzzugs feiern. Dort hätten – so Ordericus Vitalis – Väter ihm ihre neugeborenen Söhne gebracht, mit der Bitte, deren Pate zu werden; auf diese Weise sei sein bis dahin so gut wie unbekannter Name in Frankreich verbreitet worden. Der französische König Philipp I. gab ihm im Mai 1106 seine Tochter Konstanze zur Frau, während deren Schwester Cecilie Bohemunds in Antiochia zurückgebliebenen Vetter Tankred heiratete (s. Tafel S. 89). Für Bohemund und seine Familie bedeutete dies eine weitere soziale Aufwertung.
Die Anwerbung neuer Kreuzfahrer in Frankreich verknüpfte Bohemund mit antibyzantinischer Propaganda. Er warf dem Kaiser vor, den Kreuzzug behindert zu haben und ein Ketzer zu sein. Solche antibyzantinischen Vorurteile waren im Westen nicht neu und dienten Bohemund dazu, einen Angriff auf das Byzantinische Reich zu rechtfertigen. Beim Papst fand er dafür allerdings keine Unterstützung.
Im Oktober 1107 setzte Bohemund mit einem Heer von Brindisi nach Albanien über und begann, Dyrrhachion zu belagern,wie dies Robert Guiscard getan hatte. Sein Unternehmen scheiterte aber noch kläglicher als das seines Vaters vor mehr als 25 Jahren. Der byzantinische Kaiser Alexios setzte auf eine Zermürbungstaktik. Er verbrachte den Winter 1107/08 in Thessaloniki, während Bohemunds Truppen vor Dyrrhachion unter Hunger und Kälte litten. Die Flotte des mit Byzanz verbündeten Venedig kontrollierte die Adria und verhinderte, dass aus Apulien Nachschub kam. Zudem setzte Alexios mit Erfolg Bestechungsgelder ein, um führende normannische Ritter zur Desertion zu veranlassen. Im Frühjahr 1108 brach der Kaiser dann mit seinem gut ausgerüsteten Heer auf, zog jedoch nur bis Devol, das einen Tagesmarsch von Dyrrhachion entfernt war. Von hier aus begann er Verhandlungen mit Bohemund, die sich den ganzen Sommer über hinzogen.
Am Ende musste der Normanne im September 1108 einen Vertrag akzeptieren, der einer Kapitulation gleichkam: Er verpflichtete sich, das um Kilikien und Latakia verkleinerte Fürstentum Antiochia vom byzantinischen Kaiser als Lehen zu nehmen sowie den aus Antiochia vertriebenen griechisch-orthodoxen Patriarchen dort wieder einzusetzen. Nach seinem Tod sollte das Fürstentum an den Kaiser zurückfallen. Damit schien langfristig alles zunichte gemacht, was sich Bohemund im Vorderen Orient aufgebaut hatte.
Demoralisiert zog der Normanne mit dem Rest seines Heers nach Apulien und kehrte nicht mehr nach Antiochia zurück. Der Vertrag von Devol wurde nicht in die Praxis umgesetzt. Da nur Bohemund den Vertrag unterzeichnet hatte, bewahrte er wenigstens die Unabhängigkeit des Fürstentums; der amtierende Regent von Antiochia, sein Vetter Tankred, war nicht an ihn gebunden. Nach Bohemunds Tod 1111 konnte sein 1109/10 geborener Sohn
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