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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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versuchte, davonzulaufen und das Schriftstück vor mir zu verstecken. Könnt Ihr Euch vorstellen, was mit ihm – mit uns allen – geschehen wäre, wenn es in die falschen Hände gelangt wäre?«
    »Und dann?«
    »Und dann tat ich, was niemals meine Absicht gewesen war. Ich war rasend vor Wut und vermochte mich nicht zu beherrschen.«
    »Wut muss als Entschuldigung für recht viele Eurer Taten herhalten.«
    »Wir konnten Guillaume nicht mehr trauen. Ich habe bei ihm sogar eine Kopie des anderen Stammbaums gefunden, die er offensichtlich aus dem Gedächtnis angefertigt hatte. Sie steckte voller Fehler und Ungenauigkeiten. Das alles hat er vor uns verheimlicht.«
    Es war kalt auf dem Glockenturm, so kalt, dass meine Zähne schmerzten. »Wo befinden sich die Dokumente jetzt?«
    »Das Original und die erste Kopie sind in der Komturei in Sicherheit. Die anderen Kopien habe ich verbrannt. Ich habe alles wieder in Ordnung gebracht.«
    »Aber zu welchem Preis …«
    »Dafür ist kein Preis zu hoch.«
    Leichter Schneefall setzte ein. Kleine Flocken fingen sich in meinem Wollumhang und schmolzen dort. Der Wind bestäubte den Stechginster auf den Hügeln mit jungfräulichem Weiß.
    Für meinen Bruder und mich schien sich die Welt allzu schnell verändert zu haben. Doch wir konnten die Vergangenheit nicht wieder zurückholen. Ein weiterer Fehler war, dass wir geglaubt hatten, unser Geheimnis für immer bewahren zu können – wie die Locke eines Geliebten.
    »Ich werde den Orden verlassen«, sagte Christian.
    »Wegen Eurer Taten?«
    »Euretwegen. Da Ihr unfähig seid, für Nachkommen zu sorgen, werde ich mein Keuschheitsgelübde brechen müssen, um einen Erben zu zeugen.«
    »Einen Erben wofür? Binnen kurzem wird all unser Besitz dem König gehören, das habt Ihr selbst gesagt.«
    »Unser Blut ist immer noch von Bedeutung, Eleonore.«
    »In der Kirche von Redaux habe ich gesehen, wie viel Euch unser Blut bedeutet.« Ich hatte Guillaume vor Augen, blutüberströmt auf dem Boden liegend, halb bedeckt vom Altartuch. Und Christian war dafür verantwortlich. Das war aus ihm geworden, das hatte seine Vision aus ihm gemacht. Ich wusste, dass er in seinem Leben schon viele Männer umgebracht hatte, doch dabei hatte es sich um Sarazenen gehandelt, gegen die er im Namen und im Auftrag Gottes zu Felde gezogen war.
    Aber damit, dass er in einem Haus Gottes einen Priester von seinem eigenen Fleisch und Blut niedergemetzelt hatte, beging er eine Todsünde. Mein Bruder hatte die Schwelle zum Haus des Teufels überschritten.
    »Seht mich nicht so an«, schnappte er. »Ich weiß genau, was ich getan habe. Und Ihr könnt mir glauben, dass dieses Wissen mir unaufhörlich Qualen verursacht. Ich bin kein Ungeheuer. Ich hatte keine Wahl.«
    »Jeder Mensch hat eine Wahl.«
    »Jetzt klingt Ihr wie der gute Vater Subillais«, entgegnete er und kratzte über einen purpurroten, entzündeten Furunkel, der direkt über der Ader an seinem Hals saß.
    »Wir müssen Raymond unverzüglich einweihen«, tat ich kund.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Er ist mein Gemahl. Wir haben es lange genug vor ihm verheimlicht.«
    »Er stammt aus dem Norden. Auch wenn er Euer Gatte ist – wir können ihm nicht trauen.«
    Ich holte tief Luft. »Ihr habt eben angedeutet, dass ich unfruchtbar sei … das stimmt nicht, Christian.« Er starrte mich überrascht an.
    »Ihr erwartet ein Kind?«
    »Es wird noch vor dem Herbst das Licht der Welt erblicken.«
    »Weiß er es?«
    Ich nickte. »Also müssen wir es ihm endlich sagen.«
    Eine kleine Ewigkeit verging. »Na schön«, gab Christian schließlich nach. »Wir werden ihm unser Familiengeheimnis anvertrauen. Nun, da er auf einen Erben hoffen kann, begreift er vielleicht, wie bedeutend es ist. Wir werden ihm sein wahres Erbe offenbaren.«

BERNARD
    Angesichts der Beweise, die Bruder Subillais gegen Aimery Maurand zusammengetragen hatte, war auch ich der Meinung, dass wir den Kaufmann unbedingt dazu bringen mussten, ein Geständnis abzulegen und der Häresie abzuschwören. Er hatte seine Sünde zwar als unwissender Knabe begangen, aber das war in diesem Fall unerheblich.
    Anders als mein Ordensbruder war ich jedoch davon überzeugt, dass Maurand seinen Widerstand gegen uns nach einer gewissen Zeit in der Kerkerhaft aufgeben würde. Bruder Subillais schien allerdings nicht geneigt, die nötige Geduld aufzubringen.
    »Es gibt auch andere Möglichkeiten, seine Zunge zu lösen«, sagte er.
    Ich fühlte alles Blut aus meinem Gesicht

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