Die Novizin
bald untergehen. Dennoch kämpften wir weiter, in der Gewissheit, dass wir bald vernichtet werden würden.
Meine Vorfahren waren dereinst die Grafen dieses Tals und gute Katholiken. Doch als die Katharer kamen, kratzten sie die Wandgemälde, die Christus und die Kreuzigung zeigten, von den Mauern der Kapellen. Damals war die Kirche noch jung. Meine Ahnen konnten nicht vorhersehen, wozu jene Taten führen würden.
Schließlich es waren die Frauen meiner Familie, die uns mit Ketzerei befleckten. Einige gehörten zu den Priesterinnen der Katharer. Die Base meiner Mutter wurde gemeinsam mit vierhundert anderen Ketzern vor den Burgmauern von Montségur bei lebendigem Leib verbrannt. Diese unglückseligen Verbindungen sind der Grund, warum man in dieser Gegend vom Geschlecht der Saint Ybars so gut wie gar nicht mehr spricht.
Vielleicht seid Ihr mit der Geschichte dieses Ortes nicht vertraut und wisst nicht, dass der Heilige Vater in Rom sogar zum Kreuzzug gegen Christen aufrief und den Baronen aus dem Norden eine besondere Dispens erteilte. Daraufhin plünderten sie uns im Namen Jesu Christi aus, sie vergewaltigten uns und metzelten alles nieder. Der Papst hetzte Simon de Montfort auf uns wie einen Höllenhund, und zwanzig Jahre später bot unser Land ein Bild der Verwüstung.
De Montforts Männer trugen ein Kreuz auf ihren Umhängen, genau wie jene Soldaten, die in die Heiligen Kriege nach Palästina zogen. Auch die Entlohnung seiner Truppen war dieselbe: Ihre Sünden wurden ihnen vergeben, ihre Verbrechen galten als gesühnt, ihnen wurde ein Platz im Himmel zugesichert – und so viel Beutegut, wie sie nach Hause schleppen konnten.
Mein Vater verlor seine Burg und all seine Besitztümer und gehörte fortan zu den Faidits, den Enteigneten. Doch im Zuge des Waffenstillstands, den der Graf von Toulouse und der Papst vor fünfzehn Jahren vereinbarten, wurden ihm seine Ländereien zurückgegeben. Allerdings unter der Bedingung, dass die Burg nach seinem Tod in den Besitz des Seneschalls des Königs überging. Um dies zu verhindern, wurde ich mit dem Sohn eines Barons aus Burgund verheiratet, einem gewissen Raymond de Guiret.
Mir als letzter Tochter des Geschlechts der Saint-Ybars wurde es zur Pflicht, den magischen Fluss unseres Blutes zu erhalten. Die Aufgabe war nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. Anfangs fand ich Raymonds Manieren ungehobelt und seine Art von Humor primitiv. Ich war gebildeter als er, denn ich konnte Latein lesen und meinen eigenen Namen schreiben. Doch mit der Zeit gewöhnten wir uns aneinander und stellten fest, dass wir dank unserer gemeinsamen Liebe zur Jagd und zum Schachspiel eine Ehe ohne jede Bitterkeit zu führen vermochten. So manches Mal entdeckten wir – wenn auch widerwillig – sogar freundschaftliche Gefühle füreinander.
Ihr mögt Euch fragen, warum es so schwer für uns war, Freundschaft zu schließen. Dazu müsst Ihr wissen, dass Raymond ein leidenschaftlicher Katholik ist, der für die Vergangenheit meiner Familie zunächst nur Abscheu und Verachtung übrig hatte. Ich glaube, er hat mir nie völlig vertraut.
Wenn es der Herr in seiner Weisheit so gewollt hätte, wäre unser Geschick womöglich ein anderes gewesen. Doch die Jahre verstrichen, und ich enttäuschte sowohl meinen Vater als auch meinen Gatten, weil ich unfähig war, das zu tun, was für jede Frau das Natürlichste auf der Welt ist, sei sie nun gebildet oder nicht.
Ich konnte Raymond keine Kinder schenken.
Wir hatten unseren Trieben freien Lauf gelassen. Es gab Zeiten, in denen die Leidenschaft das Einzige in unserer Beziehung war, das uns mit Zufriedenheit erfüllte. Doch als Raymond schließlich erkannte, dass ich ihm nicht den ersehnten Erben gebären konnte, entfernte er sich von mir und wurde abweisend und kalt.
Ich musste den Tatsachen ins Auge sehen und mich mit meiner Unfruchtbarkeit abfinden. Nun würde also das Blut, das durch dieses Tal geflossen war, mit meinem Tod versiegen. Mein Bruder war nämlich ein eingeschworener Templer und mein Vetter ein Priester. Obwohl Letzterer nach allem, was man hörte, eine Reihe von Bastarden gezeugt hatte, kam natürlich keines dieser Kinder als Erbe für die Burg und die Ländereien von Saint-Ybars und Redaux in Frage.
Dieser Spätsommermorgen, dieser bittere Tag … Mein Leben war entschwunden wie der Nebel, der sich in den Sonnenstrahlen auflöste. Es war Erntezeit, und die Karren, die von den Weinbergen kamen, knarrten unter dem Gewicht der Körbe voller
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