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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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Berechnungen zufolge ist der heutige Tag sowohl für einen Aderlass als auch für die Verabreichung eines Purgativs ungünstig. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es besser wäre, das Bein abzunehmen.«
    »Bruder Subillais hat sich klar ausgedrückt. Er ist bereit, seinem Schöpfer entgegenzutreten, falls dies Gottes Wille sein sollte, aber das Bein wird nicht amputiert.«
    Der gute Arnaud zuckte mit den Achseln, als habe er keinerlei Verständnis für solche Unnachgiebigkeit.
    Ich betete für meinen Bruder. Rückblickend glaube ich, dass meine Gebete ihm mehr genutzt haben als die Künste des Knochensetzers.
     
    *
     
    Meine Gastgeber warteten vor der Tür auf uns.
    »Wie geht es ihm?«, fragte Raymond.
    »Er liegt im Sterben«, erwiderte Vater Arnaud frei heraus.
    Raymonds Miene blieb undurchdringlich. Leider muss ich sagen, dass der Tod eines Inquisitors bei den meisten Menschen keineswegs tiefe Trauer hervorrief.
    »Wie merkwürdig!«, sagte Raymond.
    »Was ist merkwürdig?«, erkundigte ich mich.
    »Es heißt, der Teich der Madonna besitze heilende Kräfte, doch genau an jenem Ort ist unserem guten Vater Subillais sein fataler Sturz widerfahren.«
    »Dann bezweifle ich, dass die Madonna dort gegenwärtig ist«, bemerkte Vater Arnaud.
    »Ebendies wollte ich damit sagen.«
    Nachdem sich der Mönch verabschiedet hatte, wandte ich mich an Raymond. »Euer Knochensetzer scheint ratlos zu sein. Setzt Ihr großes Vertrauen, in ihn?«
    »Er ist Infirmarius für sechzig Mönche.«
    »Dies war nicht meine Frage, Seigneur.«
    Raymond und seine Gattin wechselten einen Blick.
    »Es gibt da eine Frau in der Stadt …«, sagte die Dame Eleonore schließlich.
    »Eine Frau?«
    »Eine Heilerin.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vermutlich werdet Ihr keine Verwendung für sie haben.«
    »Wer ist diese Frau?«
    »Ihr Name lautet Sybille de Peyrolles.«
    »Madeleine de Peyrolles’ Mutter?«
    »Eine Quacksalberin«, warf Raymond ein.
    »Die Menschen in der Stadt schwören auf ihre Künste«, sagte Eleonore.
    »Was werdet Ihr tun, falls Vater Subillais stirbt?«, wollte Raymond wissen. »Werdet Ihr nach Toulouse zurückkehren?«
    »Das kann ich nicht. Gegen Madeleine de Peyrolles ist der Vorwurf der Ketzerei erhoben worden.«
    Meine Gastgeber warfen sich abermals einen Blick zu. Mit derlei Schwierigkeiten hatten sie offenbar nicht gerechnet.
    »Sie mag ein seltsames, verstörtes Mädchen sein, aber sie ist gewiss keine Ketzerin«, sagte Eleonore.
    »Sie ist von zwei Bürgern dieser Stadt der Häresie beschuldigt worden und wird sich dafür verantworten müssen. Nun, da ich den Teich der Madonna gesehen habe, ist es meine Absicht, sie aus dem Kloster zu holen und nach Toulouse zu bringen.«
    Die Augen der beiden blickten so sorgenvoll, als hätte ich ihnen gerade mitgeteilt, dass in ihrer Burg die Pestilenz wütete. Natürlich fürchteten sie nicht um das Mädchen, sondern ausschließlich um sich selbst.
    »Wie weit ist das Kloster von Saint-Ybars entfernt?«
    »Beausaint? Es liegt an der Straße nach Couiza. Ungefähr einen halben Tagesritt von hier.«
    »Ich werde morgen früh aufbrechen.«
    Ich wusste nicht, ob dies die richtige Entscheidung war, aber ich handelte im Auftrag Gottes und durfte nicht zulassen, dass die Einflüsterungen des Teufels mich von meiner Pflicht abhielten. Allerdings gab es noch etwas, was ich für meinen Ordensbruder tun konnte, bevor ich abreiste.
     
    *
     
    In Toulouse hatte Anselm mit seiner Familie in einem Steinhaus mit soliden Türen und feinen Wandbehängen gewohnt. Madeleines Sünden waren Anselm teuer zu stehen gekommen, denn seine Lebensumstände waren bei weitem nicht mehr dieselben – mochten sie für die Maßstäbe, die in Saint-Ybars galten, auch durchaus passabel sein. Auf meinem Weg durch die enge Gasse, in der er wohnte, musste ich einer Schweineherde ausweichen, die offensichtlich ihrem Hüter entlaufen war. Die Borstentiere durchwühlten den Abfall, der sich in der Gosse sowie am Fuße der Stadtmauer angesammelt hatte.
    Sybille de Peyrolles öffnete mir die Tür. Ich erinnerte mich noch gut an sie und konnte ihre Tochter in ihr erkennen, obwohl ihr einstmals feuerrotes Haar nun beinahe völlig ergraut war und ihre Haut Falten bekommen hatte. Rußflecken von der Feuerstelle bedeckten ihre Hände. Inzwischen entsprach auch ihr Äußeres ihrem Ruf als weise alte Frau.
    Sie trat ohne ein Wort beiseite und ließ mich ein. Zweifellos hatte sie mich in der Kirche der Heiligen Maria

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