Die Obamas
-Veranstaltungen war es leise zugegangen. Hier aber war es laut.
In der Oper hatte die First Lady still neben ihresgleichen gesessen. Jetzt aber, als die Mädchen tanzten und Songs schmetterten, hob sie die Hände und klatschte im Takt, flüsterte verschwörerisch mit der Rektorin und klatschte die Schülerinnen ab, als sie die Bühne verließen. Nach der Vorführung erhob sie sich, um zu den Mädchen zu sprechen: »Euer Leben und meines scheinen so weit voneinander entfernt – ich stehe hier als die First Lady der Vereinigten Staaten, ihr geht hier in die Schule –, und doch haben wir sehr viel gemeinsam«, sagte sie, unübersehbar gerührt. »Nichts auf meinem Lebensweg hat darauf hingedeutet, dass ich einmal als erste schwarze First Lady der Vereinigten Staaten hier stehen würde. Nichts in meiner Vergangenheit hat darauf hingedeutet. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, das weder finanziell noch sozial nennenswerte Möglichkeiten bot.«
Auslandsreisen waren anstrengend, ein einziger Wirbel aus Flügen, Zeremonien und Kleiderwechseln, und über all den logistischen Details hatten sich die First Lady und ihre Mitarbeiter nicht klargemacht, wie bedeutsam der Besuch der Schule sein konnte. Doch sie schaute die Mädchen an, die Mädchen schauten sie an, und sie sah sich selbst mit ihren Augen, merkte, wie sie an ihren Lippen hingen. »Sie verstand, dass die Mädchen plötzlich ihr eigenes Potenzial wahrnahmen, weil sie sich vorstellten, sie stünden an ihrer Stelle«, formulierte es Katie McCormick Lelyveld, die Pressefrau von Michelle Obama. Sie erkannte die Verantwortung, die mit ihrer Rolle verbunden war, die Einflussmöglichkeiten, die große Chance. In den ersten Monaten im Weißen Haus hatte sie sich isoliert gefühlt, aber dort, auf der anderen Seite des Atlantiks, hatte sie ihren Platz gefunden. Auf dieser bescheidenen Bühne begann Michelle Obama sich mit der Rolle der First Lady zu identifizieren.
»Die Geschichte zeigt, dass es nicht darauf ankommt, ob man in einer Sozialwohnung oder in einer Villa aufgewachsen ist«, hatte sie auf der Veranstaltung noch gesagt. »Wir zählen darauf, dass jede Einzelne von euch das Bestmögliche aus sich macht, denn die Welt ist groß, sie ist voller Herausforderungen, und wir brauchen starke, kluge, selbstbewusste junge Frauen, die aufstehen und die Zügel in die Hand nehmen.«
Am Ende ihrer Ansprache war Michelle Obama noch für einen Moment auf der Bühne stehengeblieben und hatte sich zum Chor umgedreht. »Lasst euch umarmen«, sagte sie zu den Mädchen, und eine nach der anderen trat vor. Als sie alle umarmt hatte, verließ sie die Bühne noch immer nicht. Sie ging an die Rampe, kniete nieder und breitete die Arme aus. Ihre Bodyguards stürzten vor, doch sie wollte einfach nur noch mehr Mädchen umarmen.
***
Zurück in Washington, ging für Michelle Obama indes das Ringen um eine klare Position als First Lady weiter. Das Verhältnis zu ihrer Stabschefin trübte sich, auch deshalb, weil sie das Gefühl hatte, Norris vertrete ihre Anliegen im Westflügel nicht entschieden genug. Und noch immer hatte sie kein zentrales Projekt vor Augen, kein großes Ziel, für das sie sich mit all ihrer Energie, ihrer Berufserfahrung und ihrem Wunsch, einen Beitrag zu leisten, einsetzen konnte. Bis sie ein solches Projekt fand, darin waren sich ihre Mitarbeiter einig, würde sie in ihrer Rolle nicht wirklich aufgehen. Die unzähligen offiziellen Verpflichtungen, die sie zu absolvieren hatte, blieben weiterhin frustrierend sinnlose Pflichtveranstaltungen.
In Washington hatten Events, die unter dem Etikett »Ehefrauendiplomatie« liefen, eine lange Tradition: Mehrere Male im Jahr kamen die Gattinnen von Kongressmitgliedern und anderen hohen Beamten zu einem Erfahrungsaustausch zusammen. Viele dieser Anlässe hatten eher rückwärtsgewandten Charakter: Sie stammten aus einer Zeit, als Ehefrauen von Kongressabgeordneten nicht berufstätig, sondern nur Anhängsel ihrer Männer waren. Aber sie waren Teil des sozialen Kitts der Stadt, und sie boten Republikanern und Demokraten die Möglichkeit, einander kennenzulernen und über Parteigrenzen hinweg gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen.
Michelle Obama war bei diesen Veranstaltungen bisher nie dabei gewesen, sie hatte sich aus der Ferne sogar stets ein bisschen darüber lustig gemacht. Als sie nach der Wahl ihres Mannes in den Senat eine Einladung zu einem Lunch in Washington zu Ehren von Laura Bush erhalten hatte, habe sie
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