Die Obamas
wollte nicht der Mensch sein, der ihn andauernd antrieb, obwohl sie manchmal nicht widerstehen konnte. Sie hatte gesagt, was sie zu sagen hatte; es war seine Präsidentschaft.
Sie hatte die Abstimmung allein im Fernsehen verfolgt, in ihrer Suite im Waldorf Astoria Hotel. Ihre Töchter schliefen schon. Sie wechselte ein paar optimistische E-Mails mit einigen Mitarbeitern im Weißen Haus, aber alles in allem war sie eher erschöpft und erleichtert als begeistert. Sie triumphierte nicht. »Ihre Toleranzschwelle gegenüber dem Kongress ist niedriger als die ihres Mannes«, erklärte ein Mitarbeiter. »Sie fand vielmehr, dass das amerikanische Volk nun endlich, endlich etwas begriffen hätte«, berichtete er weiter, »sie meinte eher: Leute, seid ihr nun auch da angekommen, wo wir schon so lange sind?«
Kapitel 9: Die Blase in der Blase
Mai – Juni 2010
Z wei Monate nach der Verabschiedung der Gesundheitsreform kehrten die Obamas für das Memorial-Day-Wochenende nach Chicago zurück. Es war ihre erste Heimreise seit jenem enttäuschenden Ausflug dreizehn Monate zuvor. Aus ihrem ehemaligen Wohnviertel war inzwischen eine Art Obama-Pilgerstätte geworden. Ihre Porträts hingen über der Theke und in den Nischen von Park 52 , einem schicken Bistro. In der Stadt diskutierte man die Frage, ob der Präsident wohl das Hockeyturnier der Blackhawks am Wochenende besuchen werde. Obama war in Chicago nach wie vor sehr beliebt, und es schien, als ob sich die ganz Stadt fragte, warum er und seine Familie so lange weggeblieben seien.
Diesmal war der Aufenthalt angenehmer als beim letzten Mal. Die Obamas zeigten sich kaum in der Öffentlichkeit und besuchten auch keine Restaurants im Zentrum, was sonst leicht zu tumultartigen Szenen führte. Alle Gäste, die in der Synagoge gegenüber eine Hochzeit besuchten, mussten einen Sicherheits-Check über sich ergehen lassen. Als Wiedergutmachung für die Unannehmlichkeiten schickten der Präsident und die First Lady kleine Geschenke an das frischgebackene Ehepaar: Manschettenknöpfe und einen Brieföffner. Journalisten, die natürlich über die Reise berichteten, entdeckten die First Lady mit gelben Gummihandschuhen im Garten. Nach all den Monaten, in denen ihr das Personal in Washington solche Handgriffe abgenommen hatte, schien sie sich auf die Haushaltsarbeiten zu freuen.
Ein paar Tage vor ihrer Ankunft hatten die Obamas einige Verwandte für den Freitagabend zu einer Grillparty eingeladen. Sie waren bemüht, den Kontakt zu den Tanten, Onkeln, Kusinen und Vettern der First Lady, die in verschiedenen Vororten und der Chicagoer South Side lebten, nicht abreißen zu lassen.
Es war das zweite Familientreffen seit Barack Obamas Amtsantritt. Das erste, ein halbes Jahr zuvor, hatte zu Thanksgiving 2009 stattgefunden – die gesamte Großfamilie war ins Weiße Haus eingeladen worden. Schon als sie noch in Chicago gelebt hatten, hatten die Obamas zu Thanksgiving Gäste eingeladen, eine Tradition, die sie auch in Washington beibehalten wollten. Mehrere Dutzend Besucher aus Chicago hatten sich in der Pennsylvania Avenue getroffen, um anschließend die Geheimdienstkontrollen zu passieren und in den offiziellen Räumen des Weißen Hauses in Empfang genommen zu werden. Dort erwartete sie eine grandiose Inszenierung – ein traditionelles Thanksgiving-Dinner mit afroamerikanischem Touch: Truthahn mit Austernfüllung, Kohl, Makkaroni und Käse.
Die Kinder der Familien stellten sich unter dem Porträt George Washingtons für ein Foto auf: als Zeichen, wie weit das Land vorangekommen und wie lang der Weg bis dahin gewesen war. Die meisten Gäste des Präsidentenpaars waren ganz normale Chicagoer Bürger – sie zählten erst seit ein oder zwei Generationen zur Mittelschicht: Lehrer, Ingenieure und Verwaltungsangestellte. Manche hatten sich die Fahrt nach Washington nur mit Mühe leisten können, obwohl das Weiße Haus Sonderkonditionen für die Hotelübernachtung ausgehandelt hatte. Die Besucher waren aufgeregt und ein wenig eingeschüchtert von dem, was sie im Weißen Haus sahen. Einer der Älteren gestand einem anderen Gast, dass er auf der Toilette ein Papierhandtuch mit dem Siegel des Weißen Hauses als Souvenir eingesteckt habe. »War das Diebstahl?«, fragte er. »Wenn noch genug zum Abwischen da ist, geht das wohl in Ordnung«, war die Antwort. Einige der Jüngeren wollten mit dem Präsidenten fotografiert werden – als Beweis, dass sie ihn wirklich kannten, meinte ein Onkel; Obama,
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