Die Obelisken von Hegira
und Biographien. Es war schlichtweg ein unorthodoxer Ort.
Da ohne Unterkunft, schliefen sie des Nachts am Strand. Einer saß stets Wache auf einem kleinen Felsen über der von ihnen mit Beschlag belegten Landzunge aus Sand. Die Wellen strandauf und strandab klangen wie kämpfende Tiere. Einige waren so groß wie zweistöckige Häuser, und sie tobten durch die der Küste vorgelagerten Felsklippen und heulten über den verwirbelten Sand hinweg. Nachts, wenn die Wellen glühten wie anmutige Gespenster, verbarg Barthel seine Augen vor dem Anblick und konzentrierte sich auf die mit Lichtern betupfte Stadt.
An ihrem vierten Morgen in Mur-es-Werd erwachte Bar-Woten durch den Geruch von Rauch und sah Kiril ein Fischfrühstück zubereiten. Eine lange Rute mit einer Schnur daran stak neben ihm im Sand. „Ich habe sie vor einer Stunde erstanden“, erklärte Kiril. „Nützlicher als Bücher, was?“
Bar-Woten hatte sich die Grundzüge der Sprache rasch angeeignet, viel schneller als Barthel, und konnte gut genug mit den Lucifanern reden, um sich verständlich zu machen. Als er nun Kirils Frühstück aß, überlegte er laut, warum das Land Mundus Lucifa hieß. Kiril hielt einen Finger hoch, eine Unterbrechung anzuzeigen, während er kaute. „Einfach genug“, sagte er. „Aus den Bergen kommen Ungewitter. Manche der Stürme sind wahrhaft beängstigend.“ Aber er hatte nie wirklich einen miterlebt, außer dem Regenguß, durch den sie geritten waren, bevor sie den Abgrund querten.
An jenem Tage stellten sie auch auf den Werften Nachforschungen darüber an, ob ein Bedarf an Seeleuten bestand. Die Reaktionen waren entmutigend – leere Blicke und Kopfschütteln. Seeleute? Die gab es auf dem Markt in Hülle und Fülle. Zehn Männer auf jede Koje! Ausländische Schiffe, die des öfteren hier anlegten, mochten allerdings bisweilen Platz für neue Männer haben – gewöhnlich, weil ein paar auf See geblieben waren.
„Die ausländischen Schiffe werden nicht so wählerisch sein, wenn es darum geht, Fremde anzuheuern“, sagte Bar-Woten. „Bei denen könnten wir eine Chance haben.“
Manchmal übernahmen sie Gelegenheitsarbeiten an den Anlegestellen, während sie von einer Ansammlung von Docks und Werften zur nächsten wanderten. Kiril kostete zum ersten Male schwere körperliche Arbeit, und sie schmeckte ihm überhaupt nicht. Er verübelte dem Ibisier den stoischen Gleichmut, mit dem er die Arbeit hinnahm.
Auf diese Art lebten sie drei Wochen. Kein ausländisches Schiff lief in den Hafen ein, und kein einheimisches lief aus. Die Jahreszeit war ungünstig für den Handel. Bald würden schwere Stürme den Ozean zu Bahnen wellenzerschmetterter Spitze aufpeitschen.
Wasserhosen und Hurrikane würden sich auf See, aber in Sichtweite des Landes, bilden und ungebrochen Hunderte von Kilometern anhalten. Nein, dies war entschieden die falsche Jahreszeit, daran zu denken, in See zu stechen!
Eine Ausnahme gab es, aber die war eher ein böses Omen. Ein großer lucifanischer Frachter, der unter Methandampf und Segeln lief, legte in kläglicher Verfassung in Mur-es-Werd an. Er war schon seit zwei Jahren auf See, aber nicht Stürme hatten ihn so zugerichtet. Vielmehr war er von einem Schiff beschossen worden, wie sie noch keines gesehen hatten – ein Schiff, das auf den Wellen dahineilte, indem es sie mit riesigen Füßen durchteilte. Das fremde Schiff hatte weder Segel gehabt, noch hatte es Dampf abgegeben, und doch war es leicht seine neunzig bis hundert Kilometer pro Stunde gelaufen. Einige mutmaßten, es sei gar kein Boot gewesen, sondern ein Krustentier aus den Bleichen Meeren, die höher droben im Norden lagen, als je ein Mensch gereist war. Die drei hörten davon in Hafenkneipen und Speisegaststätten. Bald wurde es eine allgemein verbreitete Geschichte, die gern und weidlich ausgeschmückt wurde.
Die Geschichte veränderte die Atmosphäre rings um die Häfen grundlegend. Aber Bar-Woten behauptete steif und fest, daß noch etwas anderes im Busch war – ein simples Garn von merkwürdigen Ereignissen auf See reichte nicht aus als Erklärung für die Art, in der Mur-es-Werd sich verhielt. Auch Kiril spürte es. „Alle sind nervös“, sagte er. Der Ibisier nickte.
Der nächste Tag brachte einen warmen, trockenen Wind aus dem Südwesten. Die Himmel waren getönt wie blutige Milch. War der Wind in Bodennähe schwach, so flocht und zwirbelte er hoch droben zu ihren Häuptern die Wolken zu dünnen, glatten Bändern und durchwirkte
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