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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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Nacht.
    Plötzlich hörte man aber die Gartzer Kirchturmuhr sehr aus der Ferne läuten. Ich blieb stehen. Weiß der Himmel, wohin wir liefen. Der Heimweg war das jedenfalls nicht.
    Über zehn Meter Entfernung hinweg beratschlagten wir.
    »Bitte, klettern Sie doch mal auf den Wegweiser da«, bat mich Cotta in förmlichem Ton.
    Ich tat es. »Der Weg nach Tantow«, stellte ich fest.
    »Tante... was?« fragte Bibi.
    »Tantow. Die Bahnstation für den Berlin-Stettiner Zug. Wir müssen entgegengesetzt laufen.«
    Also liefen wir entgegengesetzt. Die beiden jetzt vor mir her.
    Zwei Uhr war’s und jenseits der Oder schon hell, als wir den Gasthof erreichten. Ein früher Vogel pfiff im Garten. Ein paar Fischer tuckerten aus. Schweigend zogen sich Bibi und Cotta hinter die Schiebewand zurück.
    »Gute Nacht!« rief ich.
    Keine Antwort.
    »Angenehme Ruhe!«
    Tiefste Stille.
    Da ahnte ich, daß es einen schlimmen Tag geben würde.
    Es begann mit einem unheilvollen Symptom. Als ich morgens in der Waschküche stand, kam keine Bibi, um mir heißes Wasser durch den Türspalt zu reichen.
    Ich rasierte mich kalt und bedachte meine Chancen. Große Aussprache schien mir das Geratene. Vielleicht auch ein pädagogischer Hinweis auf die Bierflaschen und darauf, daß man sich nicht in die Angelegenheit anderer mischen dürfe... Schließlich, sie waren Schulmädchen, ich war ein mündiger Mann. Natürlich mußte ihre Eitelkeit berücksichtigt werden. I nun, mit ein wenig Diplomatie...
    Ich ging in die Gaststube.
    Bibi und Cotta saßen noch beim Frühstück. Blank, hellwach, als hätte es keine Zirkusnacht gegeben. Eben ließ Bibi bernsteinfarbigen Honig auf ihr Brötchen tropfen.
    »Guten Morgen«, sagte ich.
    »Guten Morgen«, erwiderte Bibi höflich.
    Cotta nahm erst einen Schluck Kaffee, dann sagte sie auch, und zwar sehr milde: »Guten Morgen, Rex.«
    Also hatten sie die Sache überschlafen, hatten beschlossen, den Zwischenfall aus der Welt zu schweigen. Um so besser.
    Ich setzte mich und halbierte ein knuspriges Brötchen. »Es wird ein Gewitter geben«, sagte ich munter.
    »Ich hoffe nicht«, meinte Cotta, aus dem Fenster blickend. »Bibi, melde das Gespräch mit Berlin an.«
    »Wegen der Koffer?«
    »Nein«, sagte Cotta ruhig. »Bibi und ich fahren heute zurück.«
    Das war natürlich eine Finte. Eine Taktik, um mir das erste Wort zu entlocken. »Na, dann gute Fahrt«, murmelte ich.
    Bibi legte den Honiglöffel hin und verschwand in der Küche, wo das Telefon war. Und nun gingen mir langsam die Augen auf. Sie meinten es ernst. Das Gepäck stand schon fertig in der Ecke. Wie sie dagesessen hatten! Wie zwei, die ihre Rechnung gemacht hatten, nicht nur mit der Wirtin, sondern mit der ganzen Situation! Und mir hatte das Brötchen noch schmecken wollen!
    »Aber...«, sagte ich, »...man hätte mir doch eine Chance geben müssen...«
    »Man gibt Ihnen die Chance, sich Ihre Ferien nach Belieben einzurichten«, sagte Cotta.
    Es nutzte kein Bitten, kein Hinweis darauf, daß die Eltern sich doch über die vorzeitige Rückkehr sehr wundern würden. Nichts, nichts. Ich begriff, es war leichter, die Oder verkehrt herum fließen zu lassen, als zwei entschlossene Schulmädchen umzustimmen.
    In meiner Not griff ich nach den Bierflaschen. »Auch Sie waren rücksichtslos«, sagte ich. »Es hätte ein Unglück geben können.«
    »Eben. Und das ist der Hauptgrund, warum wir fahren. Ihre Spaziergänge sind Privatsache. Aber daß wir uns haben hinreißen lassen...«
    »Wenn’s weiter nichts ist!« rief ich schnell. »Ich trag’ Ihnen die Flaschen nicht nach!«
    »Wir tragen sie uns selbst nach. Wir haben unser Gesicht verloren. So, und da ist das Gespräch.«
    Cotta stand auf. In der Küche hatte es geläutet. Man hörte Bibi telefonieren. Da saß ich nun.
    Keine Gnade auf der ganzen Linie. Keine Gnade für die Zirkusprinzessin, keine Gnade für mich. Sogar gegen sich selber blieben die Biester hart.
    Ehe ich wußte, was ich vorhatte, war ich auf der Straße. Wenn überhaupt etwas zu unternehmen war, mußte es gleich sein. Ich konnte mich ihnen nicht anhängen, wenn sie abfuhren. Bei aller Liebe, da gab es Grenzen.
    Zeit gewinnen, dachte ich. Ob sie ihren Entschluß drei oder vier Stunden lang durchhalten würden, war fraglich. Die Räder mußten verschwinden!
    Ich lief in die Garage, griff kurzerhand Bibis Rad — eines genügte ja — und brachte es um die Ecke. Es durfte nicht gefunden werden, sonst kam vielleicht irgendein ahnungsloses Kamel damit

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