Die Oder gluckste vor Vergnügen
Pustekohl hatte Virginiatabak von den sonnigen Oderhängen in seiner Pfeife.
»Ich habe gehört, die >Vera< ist zu vermieten«, sagte ich.
Herr Pustekohl richtete sich auf. Mütze, Haar und Schädel, das alles war miteinander verwachsen. Am Kragenknopf war Grünspan. Seine Augen waren grau wie das Wasser.
Bibi und Cotta machten Zeichen: Viel Glück! Herr Pustekohl sah es, tat aber, als sähe er nicht. Er schüttelte den Kopf.
»Die >Vera< zu vermieten? Nein, nein...«
Es ging also um das Höchstgebot.
Die triefenden Kapuzen wurden ungeduldig. Sie machten fragende Gebärden. Ach, sie kannten Pustekohl nicht. Sie ahnten nicht, daß er alles sah.
Er arbeitete gemächlich weiter, gemächlich wie Mutter Natur. Er gab dem Ding die Muße, die es brauchte. Das Boot, das er gerade baute, bestimmte, wieviel Zeit daranzusetzen war, nicht der Auftraggeber oder er.
Und die Unordnung! Nur ein Feuer fand sich da durch. Wie im Wald: Moospolster aus Spänen. Unterholz von verschlungenen Bootsrippen. Taue wie Schlingpflanzen.
Aufräumen? Das Boot lag auf dem Bock und rief schon nach dem Werkzeug, das es brauchte. Fand er’s nicht, bracht’ er etwas anderes. »Darf es das sein?« — »Meinetwegen«, sagte das Boot. Und wenn er nach dem Leimtopf griff und statt dessen die Katze zu fassen kriegte, na, so stellte er sie wieder hin.
Aber mit »Vera« kamen wir nicht weiter.
Herr Pustekohl hatte die Geduld des Stromes, der draußen floß. Seit siebzig Jahren durch sein Leben, seit fünfzig unter seiner Hände Arbeit hinweg.
Ich wollte aber mit Cotta und Bibi nach Swinemünde, solange sie noch jung und knusprig waren. Ich verlegte mich aufs Bitten. Ich versuchte, das Herz zu erweichen, das da unter der Ankerkette schlug.
Erst pries ich Gartz an der Oder. Ich machte es zum Schweizer Kurort und die Kuhweide draußen zu lieblichen Rheinufern. Bibi, meine blutarme Schwester, müsse auf dem Wasser Vitamine sammeln. Cousine Cotta habe zerrüttete Nerven.
»Ach, Sie kommen vom Krüppelheim?« fragte Herr Pustekohl. Das wäre nämlich etwas anderes gewesen. An das Krüppelheim würde die »Vera« immer vermietet.
Bibi und Cotta lauschten jetzt an der Schuppenwand. Plötzlich rutschte ein Zettel durch eine Bretterfuge. Herr Pustekohl stand am Bootsgerippe, er hatte nichts bemerkt.
»Quatsch, mit dem Krüppelheim. Wenn >Vera< dauernd vermietet wäre, wüchse keine Brennessel auf dem Deck. Und da wuchs eine.«
Das war ein Trumpf. Ich flocht die Brennessel sogleich in die Debatte. Aber Herr Pustekohl war auf der Hut.
»Na, die Krüppel sind keine beweglichen Leute« meinte er. »Die klettern nicht aufs Bootsdach, wie?« Auch sei die Brennessel erst seit vorgestern vorhanden. »Brennesseln wachsen über Nacht. Und überall, wo eine Messerspitze Erdreich hingeweht ist. Der fahrplanmäßige Dampfer Gartz-Stettin hat auch eine Brennessel an Bord.«
Da sagte ich: »Also, Herr Pustekohl, was kostet das Boot? Wir wollen bis Swinemünde!«
»Swinemünde?« Fast fiel ihm die Pfeife aus dem Mund. Ausgeschlossen. Nie. Übers Haff? Nur bei Totalflaute. Bei Wellengang, nein, da stünde »Vera« köpf.
»Na, dann eben nur ein Stück flußab«, rief ich rasch. (Erst mal ‘rauf auf den Kahn, dachte ich. Das Weitere wird sich finden!)
Plötzlich flog ein Päckchen Zigarillos durchs Fenster. Cottas Geschoß. Psychologische Munition, in Windeseile aus dem nächsten Laden geholt.
Herr Pustekohl ging mit mir zum Schuppentor, um angesichts der »Vera« den Preis zu bedenken. Da lag das Boot. Wie ein kleiner Straßenbahnwagen. Und wie auf einer nassen Glasplatte.
»Sieben Mark«, sagte Herr Pustekohl.
Sieben Mark — pro Tag?
Der ahnungslose Mann!
Ein Ruderboot auf dem Wannsee hätte mehr gekostet! Ich schämte mich. Da hatte ich die ganze Zeit mit einem Gefesselten gerungen, mit einem Opfer seiner Maßstäbe. Bargeld war ja rar am Ufer der Oder. Die Bootsklienten zahlten in Korn, in Schwein, in Kiepen und Flügeln.
Und ob ich die »Vera« da draußen überhaupt bewältigen konnte, danach fragte er nicht. Er kannte wohl nur Leute, die so was konnten. Dachte vielleicht, wir hätten zu Hause auch so ein Boot.
Ich unterdrückte meinen Triumph, sagte, ich käme gleich wieder. Und vereinigte mich mit den Kapuzen hinter der Promenadenhecke.
Wir tobten wie die Wilden durch die Pfützen.
»Wenn wir die Übernachtung sparen...«, rief Cotta.
»Und uns selbst alles kochen...«, rief Bibi.
»Dann ist das keine Ausgabe...!« rief ich. Dann wollte ich
Weitere Kostenlose Bücher