Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
Vom Netzwerk:
mit dem Küchendienst. Sie wollte auch den Augen zu essen geben.
    Wir zogen mit Sack und Pack hinauf.
    »Himmel, so viel Wasser!« rief Cotta. Sie hätte auch sagen können: »Wasser, so viel Himmel!« Eine ganze Landschaft aus Wetterkunde, aus nichts als dem. Und darunter die Oder.
    »Oh, Wunder, das Oderland. Ein Tausendgrün. Dazwischen, kreuz und quer, Kanälchen. Die Oder hatte ihre künstlichen Kinder immer sorglich in den Kornfeldern verborgen gehalten. Jetzt sahen wir sie. Das quecksilberte nur so. Lauter, lauter Silbervenen.
    Aber hier waren wir an der Grenze der Idylle. Rechts noch der trauliche Fluß, da wußte er noch nichts vom Meer. Aber links war er verloren. Die Anmut verging im Dunst. Letzte Hafenstadt, das Krematorium der Flüsse. Danach sind sie Asche. Stettin! Rauch, Stein, Wasser, Wolke, alles eins. Dahinter das Meer, das Jenseits der Ströme, von der Memel bis zur Trave, von der Oder bis zum Belt.
    »Es riecht nach See«, jubelte Bibi.
    »Und nach Spiritus«, sagte Cotta. »Schwenk die Flasche nicht so. Rex, vielleicht baust du ihr mal einen Herd.«
    Ich ging mit Bibi in den Windschatten.
    »Ach, Herr Giesemann kommt«, meldete sie. Und dann, während ich Steine sammelte: »Cotta setzt ihn im Beiboot über. Hörst du? Es tuckert. Sie fahren Probe. Der Motor...«
    Schweigen. Der Motor tuckerte nicht mehr. »Sie treiben mitten auf dem Wasser.« Cotta lag also mit Herrn Giesemann auf dem Flußbett. Bibi ließ sie liegen und kam an meinen Herd. »Rehex...!?«
    Das war der Ausspracheton. Ich war auf der Hut.
    »Ja?«
    »Cotta hat mir neulich sehr leid getan«, begann Bibi.
    »Als der Vater plötzlich da war, nicht?«
    »Der Vater?« sagte Bibi. Das Wort kam zuckersüß vergiftet zurück, als sei damit kein Minister gemeint, sondern ein Beinahe-Vater. Vater eines Beinahe-Cotta-Babys. Nie hatte ihr Cotta eine Andeutung gemacht. Sie provozierte nur.
    »...und gestern nacht, Rexchen...«, sie wußte die Pausen auszuspielen wie eine routinierte Bühnenschlange, »...gestern nacht, im Hotel, weißt du... da hat Cotta geweint.«
    »Du schwindelst ja.«
    »Sie hat in der Seele geweint«, sagte Bibi. »Ich kenne das. Wenn Cotta sagt >Aaaach Bibi...<« Und hier seufzte Bibi wie Cotta. Richtiger: Bibi seufzte, wie Cotta nach Bibis Behauptung geseufzt hatte. Da wackelte die Bratpfanne. Und Bibi fragte: »Schämst du dich denn gar nicht, Cotta so zu belasten?«
    »Du sprichst, als wäre Cotta ein Fahrstuhl.«
    »Ich spreche als Freundin. Und ich wünschte, daß ich dir beibringen könnte...«
    »Gouvernanten tragen ihre Zöpfe hochgesteckt.«
    »...beibringen könnte«, fuhr Bibi unbeirrt fort, »daß manche Mädchen zu schade sind. Am besten, man brät sie jetzt und ißt sie dann kalt.« Aber damit meinte sie die Buletten. Sie stellte die Pfanne auf den Herd.
    »Zu schade?« fragte ich.
    »Ja, manche Mädchen sind zu zart — oder was du willst.«
    »Ungeeignet für die Last der Liebe?«
    »Ja«, sagte Bibi.
    »Gibt es auch Mädchen, die breitere Seelenschultern haben?«
    »Ja, die gibt es. Du weißt es genau. Hast du Cotta auch Gedichte gemacht?«
    »Nein.«
    »Ich vergaß: Zu Cotta sprichst du in Taten.«
    »Bibi…«
    »Ich mach’ mich jedenfalls nie für einen Mann zum Opferlamm. Aber ich werde Männer sammeln, wie man Briefmarken sammelt. Heiraten? Nie!« Sie zündete den Kocher an und gab mir den Löffel. »Laß mal die Butter braun werden!«
    Inzwischen lief sie auf die Hügelspitze und sah nach Cotta aus. Ich hockte vor dem brutzelnden Fett. So hatte ich mir das immer vorgestellt. Herr Heinrich saß am Vogelherd.
    »Rehex...« Da kam sie schon wieder.
    »Was denn?«
    »Mir ist was ins Auge geflogen.«
    »Immer der Nase zu reiben.«
    »Tu’ ich ja schon die ganze Zeit.«
    »Na, und?«
    »Ich krieg’s aber nicht.«
    »Moment.« Ich legte den Löffel hin, stand auf und fand mich allzudicht an Bibi. »Bißchen zurücklehnen. So kann ich ja nichts sehen.«
    Sie gehorchte. Ich sah ihr ins Auge. Da war nichts drin. Keine Mücke. Wohl aber sehr viel Pupille. Zu viel, wie mir schien. Ich sagte: »Paß nur auf, daß uns Cotta nicht ins Auge fliegt.« Und wandte mich wieder zum Herd, um die Buletten in die Pfanne zu tun.
    »Rexchen«, sagte Bibi, sanft, »Cotta ist weit.« Cotta mußte sehr weit sein, denn sie dehnte das Wort fast bis nach Stettin.
    »Rexchen«, sagte Bibi noch sanfter. Ich drehte mich um und hatte — patsch — eine so mörderische Ohrfeige weg, daß ich mich neben den Herd setzte.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher