Die Oder Ich
Rathjens Streithansel und im Nebenberuf wirtschaftete er neben den Schlichtmanns auf seinem chaotischen Hof, zwischen zerfledderten Silohaufen und Gebirgen aus Strohballen, in denen seine berühmten Hängebauchschweine hausten und sich wie die Ratten vermehrten, keines registriert, behauptete Schlichtmann, aber das sei ein anderes Thema.
Schlichtmann setzte seinen Bericht fort mit einer Liste der nachbarlichen Übergriffe. Vor drei Jahren habe Rathjens nachts die Jungtiere von der schlichtmannschen Weide getrieben, über seinen eigenen Silohaufen gehetzt und sich die Folie irreparabel zerstampfen lassen. Keine Stunde nach dem Melken stand er in der Geschäftsstelle der Provinzial in Hemmstedt, denn er wusste, wo Schlichtmann seine Tierhalterhaftpflicht versichert hatte. Nach zwei Stunden hatten die verschüchterten Versicherungsheinis Rathjens einen Scheck über dreitausend Mark ausgehändigt, für verschimmeltes, wertloses Silo, nur um ihn wieder loszuwerden. »Stellen Sie sich das mal vor!« Jeden Herbst fahre Rathjens bei schlechtem Wetter den gemeinsamen Weg in die Feldmark absichtlich zuschanden, um anschließend, wenn es um die Wiederherstellung gehe, zu behaupten, Schlichtmann habe das ganz allein zu verantworten. Das nur, damit er, Schlichtmann, die größten Schwierigkeiten bei der Maisernte bekomme, das Futter durch metertiefe Wasserlöcher karren müsse, vorletztes Jahr habe er sich einen Ladewagen dabei ruiniert, Achse gebrochen, zweitausend Mark Reparaturkosten beim Schmied. Er könne noch lange erzählen, knurrte Schlichtmann, bis ihm die schwarze Galle überliefe. Ganz zu schweigen von den andern Nachbarn. Zum Beispiel dem Gastwirt, den habe Rathjens regelrecht auf dem Gewissen, der sei doch depressiv gewesen und habe den verlorenen Prozess nicht vertragen.
Schlüter nickte. Das lag jetzt über zehn Jahre zurück, aber er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen. Der Gastwirt hatte Rathjens ein Stück saures Hochmoorland verkauft, knapp zwei Hektar für fünftausend Mark. Als der Kaufpreis fällig war, hatte Rathjens den Gastwirt zu sich gebeten, er möge sich das Geld abholen, hatte ihm die vorbereitete Quittung vorgelegt, ihn aufgefordert, schon mal zu unterschreiben, die Frau werde Kaffee machen, gleich sei er mit dem Geld wieder zurück. Der Gastwirt hatte brav unterschrieben und Kaffee getrunken, die Quittung lag friedlich auf dem Küchentisch, und als Rathjens zurückkam, schnappte er sich das Papier, tat so, als wollte er die Unterschrift prüfen, steckte es ein und übergab dem Gastwirt einen dicken Umschlag mit nichts als Zeitungsschnipseln darin. Das hatte der arme Mann, der sich nicht traute, die Summe nachzuzählen, erst vor der Tür gemerkt. Er war zurückgekehrt und forderte die Quittung zurück, wurde aber am Kragen gepackt und unter hämischem Gelächter vom Hof gejagt. Den Prozess gegen Rathjens hatte Schlüter verloren, diesen einen. Gegen eine Quittung kann man nicht gewinnen. Das ist eine unüberwindliche Urkunde. Schlüter hatte seinerzeit Rathjens Frau als Zeugin vernehmen lassen, in Ermangelung anderer Beweismittel. Mit steifem Blick auf ihre Hände hatte das verschlagene Weib die Version ihres Ehemannes bestätigt und sich hinterher ungerührt vereidigen lassen. Der Gastwirt hatte sich kurz nach dem Urteil umgebracht, durch den Strick geguckt, wie man so sagte.
Tja, dachte Schlüter, hier sind auf zwei Kilometer mehr Dramen passiert als in der Bronx von New York.
Man habe gehofft, unterbrach Schlichtmann das kurze Schweigen und wechselte das Thema, Rathjens werde zwangsversteigert, denn der Hof sei in den letzten Jahren schon zwei Mal unter Beschlag geraten, aber er habe sich jedes Mal wieder herauswinden können, indem er auswärts arbeiten gegangen sei als Klauenschneider, »denn faul ist er nicht, der Hund, flink as ’n Kateker. {12} «
Und jetzt also diese Sache mit dem Bullochsen, der Schlichtmanns beste Jungtiere gedeckt hatte. Die Tierarztkosten kriege er nicht wieder, ganz zu schweigen von der Rennerei mit dem Vieh und dem halben Tag, den sie für die Zaunreparatur hatten aufwenden müssen, Henry und die Frau. Dafür müsse er schon wieder prozessieren gegen Rathjens, und dazu habe er keine Lust mehr, die Gerichte würden ihm nicht helfen, er werde diese Sachen in Zukunft in Eigenregie klären.
»Und wie?«
»Ick hau em dot! Hebb ick doch seggt. Ick hau em dot!«, wiederholte Schlichtmann.
»Und wann wollen Sie ihn totschlagen?«, fragte Schlüter trocken. Man
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