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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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musste die Leute beim Wort nehmen. Wiederholen, was sie sagten, damit sie es aus fremdem Mund hörten, denn das Echo der eigenen Worte, zumal auf Hochdeutsch, klang ganz anders und konnte zur Besinnung bringen. Man musste die Sachen zu Ende denken, immer.
    Aber Schlichtmann ließ sich nicht verunsichern. »So forts as ick hier rut bün {13} «, antwortete der Bauer mit fester Stimme und gab dem Rollstuhl einen Backs. Er bekomme ein neues Hüftgelenk. Vor drei Monaten sei er deshalb in der Klinik in Debstedt gewesen. Alles entzündet, weil er mit dem kaputten Gelenk zu lange weitergearbeitet habe. Man habe ihm den Knochen abgesägt und rausgenommen, »so ’n Ende überm Knie, hier«, zeigte er, und die Wunde zugenäht. »Solang, hier.« Seine Hand fuhr am Oberschenkel entlang, als zöge sie einen Reißverschluss. Sein Bein könne er nicht benutzen, das sei wie Pudding, »schlackert nur rum.« Sobald die Entzündung aber abgeklungen sei, gebe es das neue Gelenk. Und ein Stück Knochen dazu. »Und dann ist er dran, ich schwöre es.« Henry solle den Hof übernehmen. Aber vorher müsse das Problem Rathjens endgültig gelöst sein. Mit dieser Hypothek könne er seinen Sohn nicht in die Zukunft gehen lassen, der habe schon genug davon bei der Bank, für den neuen Kälberstall und die dazugekauften Milchquoten.
    »Wat gifft dat dorför? {14} «, fragte Schlichtmann. Damals habe doch der August von Borstel auch nicht mehr als sieben Jahre gekriegt und seine Frau habe ihm doch überhaupt nichts getan. Da müsse er, Schlichtmann, doch besser wegkommen, schließlich reize Rathjens ihn bis aufs Mark, der verlange geradezu, erschlagen zu werden! Mehr als fünf Jahre werde er sicher nicht bekommen, gab Schlichtmann sich selbst die Antwort, und das, fügte er trotzig hinzu, werde er locker durchstehen, das sei ihm Henrys Zukunft wert, er sei ein alter Mann, ihm würden sie Rabatt geben.
    Wo bin ich hier?, überlegte Schlüter. Auf welcher Seite des Gitters? Bin ich drinnen oder draußen? Ist das Ernst? Wollte Schlichtmann nur den Tarif hören, bevor er loslegte? Die Sache von Borstel lag fünfzehn Jahre zurück, aber das Gedächtnis der Moorleute war lang. Auch kleinere Zwiste blieben über Generationen auf dem Konto. Sollte er dem aufgebrachten Altbauern erzählen, wie es zu dieser milden Strafe gekommen war?
    »Wieso sollte ich heute zu Ihnen kommen«, fragte Schlüter stattdessen, »so eilig, und Ihre Aktion ist längst beschlossene Sache? Ich kann Sie doch sowieso nicht mehr umstimmen!«
    Rathjens geschähe es recht, überlegte der Anwalt gleichzeitig. Ein Tunichtgut weniger, der lachend unter der Sonne wandelt. Aber Schlichtmann? Man würde ihn verhaften. Immerhin würde der Hof nicht kaputtgehen. Henry war ja da. Schlichtmann war ein ordentlicher Nachbar, das war nicht zu bestreiten, hilfsbereit vor allem. Man durfte ihn nicht in sein Unglück laufen lassen. Immerhin saßen sie hier und redeten, vielleicht würde Schlichtmann genug Dampf ablassen und sich wieder abregen. Bis nach der Operation würden noch Wochen vergehen, wenn die Entzündung im Hüftgelenk nicht abklang, womöglich sogar Monate, bis der Altbauer wieder zu Hause war und seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. In dieser Zeit musste doch der Druck im Kessel nachlassen. Vielleicht hatte er sich nur aussprechen wollen und deswegen nach sofortigem Besuch verlangt?
    Was sollte er diesem Mann raten?
    »Und wie wär’s mit einer Ladung Schrot auf der nächsten Treibjagd?«, fragte Schlüter. »Paar Wochen Krankenhaus reichen vielleicht?«
    »Mookt Se Döntjes? {15} «
    Schlüter zuckte die Schultern und versuchte zu lachen. Es gelang ihm nicht. Er war schon gefangen im Denksystem des Hasses.
    »Dat iss keen Spooß! {16} « Schlichtmann hielt seine Fäuste unterm langen Kinn und starrte mit mahlenden Kiefern aus dem Fenster.
    »Keen Freden hebben will, kann goon«, murmelte er, als spräche er zu sich selbst. »Uusen Hoff könt wi nich mitnehm, un uus Land ok nich. {17} «
    Schlüter schwieg, ihm fiel nichts mehr ein.
    »Und wat schall ick nu mit den Bullossen moken? {18} «
    War es nur das, was Schlichtmann wissen wollte? Schlüter antwortete nicht.
    Die Stille hüllte sie ein, nur das Gejuchze irgendwelcher Rindviecher war zu hören, da draußen, wo Frühling war. Wahrscheinlich freuten sie sich über frische Luft, Freiheit und Abenteuer nach den dunklen Monaten im Stall.
    Schlichtmann legte misstrauisch den Kopf schief, er sah jetzt so aus wie die Leute auf den

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