Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Reserveoffizier, was seine gesellschaftliche Stellung deutlich hob.
Als August Oetker den Beruf des Apothekers erlernte, steckte die Wissenschaft der Pharmazie noch in den Anfängen. Nur an wenigen Universitäten hatten sich Professoren auf dieses Fach spezialisiert. Andererseits gab es aber schon eine Prüfungsordnung für Apotheker, die ein Hochschulstudium von mindestens drei Semestern vorschrieb. August Oetker entschied sich für die Universität Berlin. Er schrieb sich dort für ein Studium der Naturwissenschaften ein.
Nirgendwo anders im Deutschen Reich als in Berlin hätte August Oetker in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eindrucksvoller erleben können, mit welcher Macht sich die Industrialisierung ihre Bahn gebrochen hatte. Immer mehr Menschen zogen vom Land in die Stadt, und Berlin wurde nun zur Großstadt mit 1,5 Millionen Einwohnern. Um den alten Stadtkern entstanden ausgedehnte Vorstädte mit Mietshäusern, in denen Hunderttausende Arbeiter wohnten, die aus Schlesien und Ostpreußen gekommen waren. Die Industrie wandelte sich zur Großindustrie, die Eisen und Stahl, Chemikalien und Apparate produzierte. Oetker wurde Zeuge, wie ganz neue Fabrikbezirke im Osten der Stadt emporwuchsen. Berlin wurde zum größten Industriezentrum auf dem europäischen Kontinent. Nirgendwo lebten die Menschen gedrängter aufeinander als hier.
Die Gesellschaft veränderte sich. Die Oberschicht schwelgte im Luxus, aber auch die Arbeiter hatten es besser. Die soziale Hierarchie wurde zusehends komplizierter. Neben den Adel traten die neuen Herren der Industrie und des Finanzwesens. In den schnell wachsenden Unternehmen entstand eine Vielzahl neuer Positionen, vom ungelernten Arbeiter über die Vorarbeiter bis zu den Ingenieuren. Die Möglichkeiten der Zeit berauschten die Menschen. Erwerbsgier und Börsenspekulation |46| erfassten breite Teile des gehobenen Bürgertums. Geld und Vermögen prägten zunehmend das Prestige eines Menschen. Aber auch Bildung stand noch immer hoch im Kurs, ein akademischer Abschluss garantierte nach wie vor ein hohes Ansehen.
Nach vier Semestern bestand August Oetker sein Staatsexamen mit der Note »sehr gut«. Nun hätte er die Approbation als Apotheker erhalten können. Aber Oetker hatte Ehrgeiz entwickelt und entschloss sich zu einem weiteren Studium. Er schrieb sich an der Universität in Freiburg ein. Dort begann er, an einer Dissertation zu arbeiten. Dabei wählte er nicht etwa ein Thema der Pharmazie oder der Chemie. Der bildungshungrige Mittzwanziger wandte sich jetzt der Pflanzenkunde zu. Seine Doktorwürde erwarb er schließlich durch eine Arbeit mit der Titelfrage: »Zeigt der Pollen in den Unterabtheilungen der Pflanzenfamilien charakteristische Unterschiede?«
August Oetkers Promotion fiel in das Jahr 1888, das als Dreikaiserjahr in die deutsche Geschichte eingehen sollte. Im März starb Kaiser Wilhelm I. im Alter von fast 91 Jahren. Sein Sohn Friedrich III. hatte lange warten müssen, bis er die Nachfolge antreten konnte. Er war 56 Jahre alt, als er Kaiser wurde. Da er als liberal denkender Mann bekannt war, ruhten auf ihm die Hoffnungen des freisinnigen Bürgertums. Der Kaiser hatte eine ausgesprochen kluge Frau, die britische Prinzessin Viktoria, deren gleichnamige Mutter Königin von Großbritannien und Irland und Kaiserin von Indien war. Die Eheleute hegten schon lange eine Abneigung gegen die preußischen Militärtraditionen und gegen Bismarck. Sie hatten Pläne für eine Liberalisierung des Deutschen Reichs nach dem Vorbild des parlamentarisch regierten England.
Aber der Kaiser war sterbenskrank, als er die Regierungsgeschäfte übernahm. Er litt unter Kehlkopfkrebs und konnte schon nicht mehr sprechen. Im Krankenbett musste er seine Anweisungen niederschreiben. 99 Tage währte seine Regentschaft, am 15. Juni 1888 war der Kaiser tot.
Damit war der Weg frei für seinen Sohn. Dieser Wilhelm II., der nun mit 29 Jahren Kaiser wurde, war von gänzlich anderer Denkungsart |47| als sein Vater. Sein Verhältnis zu den Eltern war denkbar schlecht gewesen. Manche behaupten sogar, Wilhelm II. habe Mutter und Vater, die ihn ihrerseits häufig kritisiert hatten, geradezu gehasst. Seinen gestrengen Großvater hatte der junge Wilhelm dagegen sehr geliebt und er verehrte auch dessen Berater, den Reichskanzler Otto von Bismarck. Der junge Kaiser war zudem ein autoritärer Typ und er liebte den Prunk. Alles Militärische begeisterte ihn. Er war durchaus intelligent, aber er
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