Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer Hamburg.
Seine Wehrpflicht absolvierte Oetker bei einer Aufklärungseinheit. Wegen einer Erkrankung wurde er aber vorzeitig entlassen. Als der Krieg im September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begann, musste der damals 23-jährige Oetker nicht einrücken. Möglicherweise hielt der Stiefvater mit seinen guten Verbindungen die Hand über den jungen Konzernerben. Kaselowsky konnte geltend machen, dass Rudolf-August Oetker der einzige Sohn seines im Ersten Weltkrieg in Verdun gefallenen Vaters war. Für das Vaterland hatte die Familie Oetker also schon einmal einen Erben geopfert.
Rudolf-August Oetker sah sich im Hamburger Zweigwerk des Bielefelder Unternehmens um. In der Fabrik an der Großen Elbstraße in Altona machte er sich mit der Produktion vertraut und half in weißer Hose und Jacke im Mischsaal mit. Die Arbeiterinnen und Arbeiter erlebten in dieser Zeit einen kollegialen Juniorchef, der pünktlich, geschickt und schaffensfroh war, wie eine Firmenschrift zehn Jahre später festhielt: »Er führte die Sackkarre wie jeder andere auch.«
Aber anders als »jeder andere« lebte der Unternehmersohn bereits auf großem Fuß. Rudolf-August Oetker verfügte in Hamburg über ein Domizil in bester Lage. Er besaß ein großes Haus an der Bellevue, einer besonders vornehmen Straße am Ostufer der Außenalster. Schon früh gründete er auch seine eigene Familie. Er hatte eine Frau namens Marlene Ahlmann kennen gelernt und sie 1939 geheiratet. Die Verbindung war standesgemäß, Marlene Ahlmann war die Tochter eines Fabrikanten aus Rendsburg. Ihre Familie besaß dort eine Eisengießerei. Das junge Paar bekam schnell Nachwuchs. Marlene Oetker gebar am 16. Juli 1940 in Hamburg eine Tochter. Sie wurde auf den Namen Roselie getauft, den sie später in Rosely abändern sollte.
Oetkers Hausnummer an der Bellevue war 15. Im Haus mit der Nummer 13 wohnte eine Frau namens Elli Lipmann. Sie musste den zweiten Vornamen Sara führen, denn sie war eine Deutsche jüdischen Glaubens. Die Lipmanns waren wohlhabende Leute. Neben anderem |170| besaßen sie hinter ihrer Villa ein zweites angrenzendes Grundstück von mehr als 3200 Quadratmetern. Carl Lipmann hatte das Gelände im Jahr 1925 gekauft und darauf von einem Lübecker Gartenarchitekten einen privaten Tennisplatz und einen Obstgarten anlegen lassen.
1940 sah sich seine Frau Elli gezwungen, dieses Grundstück zu Geld zu machen. Die Diskriminierung und Verfolgung der Juden in Deutschland hatten zu diesem Zeitpunkt ein Ausmaß erreicht, dass eine Auswanderung dringend geboten schien. Elli handelte damals als Generalbevollmächtigte ihres Mannes, der zu dieser Zeit offenbar bereits ins Ausland geflohen oder inhaftiert war.
Der Kontakt der Lipmanns zu dem jungen Herrn Oetker aus dem Nachbarhaus kam wohl durch einen Makler zustande. Der Unternehmenserbe zeigte jedenfalls großes Interesse an dem Grundstück und hatte keine Scheu, jüdisches Eigentum zu kaufen. Nach einigen Verhandlungen wurden sich beide Seiten einig. Am 20. März 1940 erschien Rudolf-August Oetker bei einem Hamburger Notar und unterzeichnete für die Firma Dr. August Oetker den Kaufvertrag. Frau Elli »Sara« Lipmann ließ sich durch einen Bevollmächtigten vertreten.
Nach dem Krieg sollten viele derjenigen, die sich während der NS-Herrschaft jüdischen Besitz angeeignet hatten, zu ihrer Verteidigung vorbringen, sie hätten einen angemessenen Preis bezahlt. Im Falle des Rudolf-August Oetker lagen die Dinge aber offensichtlich anders. Lipmann hatte für das Grundstück 117 000 Reichsmark bezahlt und für Tennisplatz und Obstbäume weitere 14 000 Reichsmark ausgegeben. Oetker wollte »nach längeren Verhandlungen« nur 58000 Reichsmark zahlen, also weniger als die Hälfte des ursprünglichen Kaufpreises. Dabei nutzte er die Not der Verkäufer aus, die ohnedies schon, wie sie in einem Brief an die Behörden klagten, »in den letzten Jahren erhebliche Vermögenseinbußen erlitten hatten«.
Tatsächlich bekam Oetker das Grundstück dann sogar noch günstiger. Oberste Instanz bei allen Grundstücksverkäufen von Juden war der NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter. Ihm mussten sämtliche Verträge zur Genehmigung vorgelegt werden. Diese Behörde meinte es besonders gut mit dem jungen Geschäftsmann aus Bielefeld. In ihrem |171| Bescheid vom 13. Juni 1940 über den Immobilienverkauf setzte sie den Preis zu Gunsten Oetkers überraschenderweise auf 45500
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