Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
rief der nationalsozialistische Funktionär im Namen der Belegschaft zu: »Ihnen gehören die Herzen der ganzen Gefolgschaft, Ihnen schlagen die Herzen aller Hellkopfkinder entgegen, die in Ihnen ihren lieben Hellkopfvater verehren.« Das anschließende »Sieg-Heil« der Oetker-Mitarbeiter und Gäste galt dann aber dem »Führer« und Reichskanzler Adolf Hitler. Nach der Feierstunde besichtigten der Gauleiter und die Ehrengäste die Produktionsanlagen. Am Nachmittag pilgerten sie zur Rudolf-Oetker-Halle, wo das Städtische Orchester und der Lehrergesangverein Werke von Mozart, Beethoven und Thomas zu Gehör brachten.
165
174
165
174
true
|165|
12. »Ein sehr wohlhabender Mann«
Rudolf-August Oetkers Lehr- und Kriegsjahre
A ls Rudolf-August Oetker am 20. September 1916 in Bielefeld auf die Welt kam, war sein Vater schon tot. Es war bereits ein halbes Jahr vergangen, seit Rudolf Oetker bei der Schlacht um Verdun erschossen worden war. Seine kleine Tochter Ursula hatte der Leutnant bei einem Besuch in der Heimat auf den Arm nehmen können, seinen Sohn hat er nie gesehen.
Als der Junge getauft wurde, erhielt er die Namen seines Vaters und seines Großvaters. August Oetker, der das Back- und Puddingpulverunternehmen aufgebaut hatte, war 1916 noch keine 55 Jahre alt, aber ein von Gram erfüllter und gebrochener Mann. Er starb, als sein Enkelsohn gerade in seinem zweiten Lebensjahr war. An den Gründer des Unternehmens, das er einmal erben würde, konnte Rudolf-August Oetker somit keine Erinnerung haben.
Aber da gab es ja noch die Mutter und auch die Großmutter, und es gab die Firma. Für den ersten Sohn einer jeden Unternehmerfamilie galten damals mehr noch als in späterer Zeit besondere Regeln. Der Bankier Alwin Münchmeyer, selbst Spross einer alten Hamburger Kaufmannsfamilie, beschrieb die Lebensperspektive eines Kindes seines Standes mit den Worten: »Das Leben lag bereit wie ein Maßanzug, in den die jeweils nachfolgende Generation nur hineinzuschlüpfen brauchte.« Für den jungen Oetker traf das nur eingeschränkt zu. Als er heranwuchs, war ungewiss, ob er jemals die Herrschaft über das Unternehmen ausüben würde. Ja, ob die Firma überhaupt als Familienunternehmen Bestand haben würde, war nicht sicher.
Der Stammhalter wuchs unter den strengen Augen einer Patriarchin |166| auf. Nach dem Tod des Firmengründers hatte Caroline Oetker das Unternehmen geerbt. Die Witwe war der Rolle der Inhaberin durchaus gewachsen. Schon ihre Mutter hatte mit Erfolg ein Geschäft geführt. Auch Caroline Oetker verstand sich auf Zahlen und ließ sich nichts vormachen.
Rudolf-August verlebte eine behütete Kindheit in der Fabrikantenvilla Am Johannisberg 10. Zu der anderthalb Jahre älteren Schwester Ursula kamen im Lauf der Jahre vier Halbgeschwister aus der Ehe der Mutter mit Richard Kaselowsky. Der Junge besuchte das Ratsgymnasium in Bielefeld, wo er sich als mittelmäßiger bis schlechter Schüler durchschlug. Immerhin gelang es ihm, wie ein Zeugnis belegt, bei den Lehrern den Eindruck zu erzeugen, dass es nicht an mangelndem Fleiß lag: »Trotz größter Anstrengungen tat es nur zu mäßigen Leistungen genügen.« Größere Erfolge hatte der Junge dagegen im Sport. Oetker war ein begeisterter Reiter und er nutzte die Tatsache, dass sein Stiefvater Kaselowsky auf dem Gestüt Ebbesloh in Gütersloh eine Pferdezucht betrieb.
Die Nöte, die die Weltwirtschaftskrise für Millionen Deutsche mit sich brachte, spürte Rudolf-August Oetker nicht. Der Wohlstand der Familie hatte sich während der Goldenen Zwanziger Jahre kräftig vermehrt. Aber der Pubertierende war alt genug, um die aufgewühlte Atmosphäre im Deutschland der frühen dreißiger Jahre zu empfinden.
Im September 1933 starb sein Großonkel Louis Oetker. Für den Heranwachsenden bedeutete dies insofern eine Wegmarke, als er nun Mitinhaber des Unternehmens wurde. Rudolf-August und seine Schwester Ursula erhielten jeweils zehn Prozent der Firmenanteile. 70 Prozent blieben bei der Großmutter, zehn Prozent besaß Richard Kaselowsky.
Rudolf-August Oetker kam in Bielefeld offenbar schon früh mit der SS Heinrich Himmlers in Berührung. Wahrscheinlich geschah das, ohne dass die Initiative von ihm selbst ausging. Nach der Machtergreifung setzte Himmler alles daran, seine SS zur Elite des neuen Staats zu machen. Sein erklärtes Ziel war ein Orden, in dem sich »die Tradition echten Soldatentums, die vornehme Gesinnung, Haltung und Wohlerzogenheit des deutschen Adels
Weitere Kostenlose Bücher