Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
betätigte. Er beteiligte sich an weiteren Unternehmen wie der Krefelder Baumwollspinnerei und der Krefelder Teppichfabrik. Zehn Jahre lang gehörte er als Mitglied der Liberalen Fraktion dem Stadtverordnetenkollegium in Krefeld an, und er wirkte im Vorstand und später im Aufsichtsrat des Stadttheaters. Im Gemeinderat von Schiefbahn saß er als so genannter Meistbegüteter. Oetker schenkte dem Kaiser-Wilhelm-Museum eine Sammlung niederrheinischer Altertümer und besorgte das Geld für einen Erweiterungsbau.
In Schiefbahn half sein Unternehmen bei der Gründung von Vereinen für Sänger, Turner, Fußballer und Radfahrer. Die Firma richtete überdies eine eigene Rentenkasse ein. Der »Kolonie« seiner Arbeiter stiftete Oetker eine Schule mit zwei Klassen und ein großes Gesellschaftshaus, das einen Saal mit Bühne und ein Wirtshaus fasste. Hier traf sich auch eine Gesellschaft namens »Frohsinn«, die ein Meister des Unternehmens Deuß & Oetker für die Arbeiter gegründet hatte. Ab 1898 wurde das gesamte Dorf von der Firma mit Strom versorgt, während die Menschen in den Nachbargemeinden sich noch mit Petroleumlampen behelfen mussten. Heimatforscher Hügen kommt in seiner Chronik zu dem Schluss, »dass die Firma auf den verschiedensten Gebieten entscheidend dazu beitrug, dass Schiefbahn eine der modernsten und wohlhabendsten Gemeinden am Niederrhein wurde«.
|32| Der Fabrikant lebte selbst nicht schlecht dabei. Oetkers Reichtum dokumentierte sich 1898 weithin sichtbar darin, dass er in der Nähe seiner Fabrik eine hochherrschaftliche Villa errichten ließ, die von einem riesigen Privatpark umgeben war. Ein französischer Gartenbauarchitekt schuf die aufwändige Anlage mit seltenen Bäumen und künstlichen Seen, mit aufgeschütteten Hügeln und Grotten. In dem Park gab es Spazierwege und sogar eine kleine Brücke. Die Arbeiter der Fabrik und andere Bewohner Schiefbahns durften die Anlage nicht betreten, sie konnten höchstens mal einen Blick durch den hohen Zaun werfen. Das Haus selbst war in einer Mischung aus Neoklassizismus und Schweizer Landhausstil gebaut worden. Die Diele prägte ein großes Jugendstilfenster aus buntem Glas. Die Villa, die den Namen »Niederheide« bekam, diente dem Fabrikanten und seiner Familie anfangs nur als Sommersitz, den Winter verbrachten die Oetkers in Krefeld.
Die Familie bestand zu dieser Zeit aus fünf Köpfen. Albert Oetker hatte, bald, nachdem er an den Niederrhein gekommen war, Emilie Peters geheiratet. Mit Milly, wie sie genannt wurde, hatte er innerhalb von fünf Jahren eine Tochter und drei Söhne bekommen. Der Erstgeborene Karl war aber mit 16 Jahren gestorben, so dass die Nachfolge nun auf den 1874 geborenen Rudolf zulief.
Im Mai 1900 wurde Albert Ferdinand Oetker zum Königlichen Kommerzienrat ernannt. Diese staatliche Ehrung, auf die Unternehmer im Kaiserreich großen Wert legten, war ein Ereignis für die gesamte Firma Deuß & Oetker. Arbeiter, Meister und Angestellte bildeten am Abend einen Fackelzug, der mit einer Musikkapelle durch den Park zur Oetkerschen Villa zog. Die Krefelder Zeitung hatte einen Reporter entsandt, der das Fest beschrieb: »Vor der Terrasse der Villa angekommen, beglückwünschte der Direktor der Fabrik Ewald Hülsemann den Kommerzienrat und hob besonders hervor, dass das ganze Etablissement, wie es in Schiefbahn emporblüht, sein Entstehen und Vollenden hauptsächlich der energischen Schaffenskraft und dem unermüdlichen Eifer des Gefeierten verdanke.«
Viele Arbeiter sahen das anders. Sie mussten sich mit Löhnen begnügen, die deutlich unter denen anderer Branchen lagen und auch |33| im Vergleich mit anderen Textilunternehmen am Niederrhein niedrig waren. Der Durchschnittslohn im Unternehmen betrug vor der Jahrhundertwende 2,14 Mark am Tag. Allerdings verdienten 63 von 750 Beschäftigten 1897 weniger als eine Mark. Das war gerade so viel, wie damals ein Pfund Butter oder zwölf Eier kosteten.
Der Christliche Gewerkschaftsverband, dem viele Textilarbeiter angehörten, mochte nicht länger mit ansehen, »dass die schlechten Lohnverhältnisse in Schiefbahn allmählich auf die gesamte Stoffindustrie am Niederrhein zurückwirkten«. Doch die Firmenleitung weigerte sich, die Löhne auf das Niveau anderer Betriebe anzuheben, da die »Verschiedenheit der einzelnen Betriebe« einheitliche Sätze nicht zuließe. Ein durchschnittlicher Arbeiter habe bei Deuß & Oetker immerhin sein Auskommen, hieß es. Man müsse auch berücksichtigen, »dass die
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