Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
»Volksgemeinschaft« der Nationalsozialisten mochten die Deutschen nun nichts mehr wissen, sie legten Wert |217| auf Individualität und Distanz. Wer in Kriegsgefangenschaft gewesen war oder – wie Rudolf-August Oetker – in einem Interniertenlager, hatte dort meist eine engere Gemeinschaft mit Schicksalsgenossen erlebt, als ihm angenehm gewesen war. In den Nachkriegsjahren kehrte die Form wieder zurück, auch die Studenten siezten sich. Im »Dritten Reich« war das Duzen sehr verbreitet gewesen, ob beim Reichsarbeitsdienst, in der Wehrmacht oder im Bombenkeller. »Die Deutschen hatten das Formlos-Gewalttätige der NS-Zeit gründlich satt«, schreibt der Historiker Michael Stürmer.
Der junge Konzernerbe war streng erzogen worden. Das familiäre Erbe hatte ihn stark geprägt. »Wer Rudolf A. Oetker besonders in den fünfziger Jahren erlebt hatte, war betroffen darüber, wie sehr der Enkel die rigide Moral des Großvaters verinnerlicht hatte«, berichtete die Hamburgerin Ruth Pinnau in ihren Erinnerungen. Sie hatte Oetker 1950 bei einem Lunch und bald darauf ein zweites Mal auf einer Hochzeitsfeier getroffen. »Oetker machte weder auf dem Derby-Lunch noch auf der Hochzeit einen besonders glücklichen Eindruck«, so Ruth Pinnau. »Weil ich damals noch nicht wusste, dass er nie wirklich unbeschwert glücklich sein konnte, glaubte ich, seine Griesgrämigkeit sei durch die Scheidung von seiner zweiten Frau, Susanna Jantsch, ausgelöst worden. Sie hatte ihn verlassen, um in zweiter Ehe den Prinzen Salm zu heiraten.«
Oetker konzentrierte sich völlig auf die Arbeit. Dabei brauchte er sich in den Jahren des Wiederaufbaus um den Nahrungsmittelbetrieb wenig zu kümmern. An der Spitze des Betriebs arbeitete inzwischen Generaldirektor Delius, der schon unter Oetkers Stiefvater Kaselowsky tätig gewesen war. Er erledigte das Alltagsgeschäft. Oetker kümmerte sich um die Strategie und Expansion. 1954 entschloss er sich, die Nahrungsmittelfabrikation in Bielefeld von Grund auf erneuern zu lassen. Der Maschinenpark war überaltert und abgenutzt, die Produktion trug in vielen Bereichen noch handwerkliche Züge. Die Verpackungen für Puddingpulver, Backpulver, Vanillin-Zucker, Tortenguss und andere Erzeugnisse waren bis dahin lediglich grafisch gestaltet worden. Künftig sollten sie farbige Bilder zeigen können. Außerdem |218| entwarfen Oetkers Ingenieure gemeinsam mit Maschinenbaufirmen neuartige Hochleistungsmaschinen für das Mischen und Abfüllen des Pulvers. In Bielefeld-Brackwede ließ der Konzernherr schließlich ein neues Fabrikgebäude bauen.
Finanziert wurden solche Investitionen vor allem durch die enormen Gewinne, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt möglich waren. Die Firma Oetker profitierte wie auch andere Unternehmen von den hohen Preisen, die Fabrikanten damals durchsetzen konnten. Kredite wurden meist nicht benötigt. Es handelte sich ja noch um einen so genannten Verkäufermarkt, auf dem die Anbieter die Könige waren und nicht die Kunden. Die kauften, was es gab, und zahlten, was verlangt wurde. In dieser komfortablen Lage konnten sich die Unternehmen rasch einen großen, modernen und damit wertvollen Maschinenpark aufbauen. Die Folge war ein hohes Wirtschaftswachstum – aber eben auch eine immense Konzentration von Vermögen in den Händen einiger weniger Unternehmer und Familien.
Erst Mitte der fünfziger Jahre änderte sich die Wirtschaftslage, und die Unternehmen mussten sich an der Nachfrage ausrichten. Die Fresswelle flaute ab, und die Firma Oetker sah sich gezwungen, sich neu zu orientieren, um ihren Umsatz zu steigern oder wenigstens zu halten. Die Erweiterung des Puddingsortiments reichte dafür nicht aus, im Gegenteil, der Umsatz in dieser Sparte ging sogar zurück. In Deutschland machte sich in vielen Haushalten der Trend zu Fertiggerichten bemerkbar, also mussten ganz neue Produkte her. So begann das Unternehmen, Quellstärke herzustellen, und schließlich brachte Dr. Oetker unter dem Namen »Galetta« einen Pudding auf den Markt, der nicht mehr gekocht zu werden brauchte.
In der Oetker-Werbung repräsentierte nun »Frau Renate« den Zeitgeist. »Sie verkörperte ideal den Typ der jungen berufstätigen Frau und diente als Leitbild all denen, die in der gleichen Lage waren: tagsüber tüchtig im Beruf, abends und am Wochenende traditionsbewusste Hausfrau«, schreibt Hans-Gerd Conrad in seiner Dissertation über die Marke Dr. Oetker. In einem Werbetext aus dem Jahr 1955 wird diese »Renate« im
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