Die Oger - [Roman]
der Ferne etwas auszumachen.
»Ein Oger.«
»Ja, ein Oger. Und?«
»Kein normaler Oger, Mylord. Ein Kriegsoger in voller Montur. Er beobachtet uns.« Barrasch hatte seinen Blick immer noch nicht abgewendet, um nicht Gefahr zu laufen, den Oger aus den Augen zu verlieren.«
»Ich kenne die Gewohnheiten von Ogern nicht. Ist es denn ungewöhnlich, dass sie sich zum Schutz vor einer ganzen Armee in die Berge flüchten?«, wollte Lord Felton wissen und hob fragend eine Augenbraue.
»Für normale Oger vielleicht nicht«, erklärte Barrasch. »Dieses Exemplar ist aber kein normaler Oger. Er wurde für den Kampf ausgebildet.«
»Von wem ausgebildet?«
»Das weiß man nicht. Vielleicht von einem bösen Zauberer, einem verrückten Herrscher, einem Dämon oder vom Gott Tabal persönlich.«
»Barrasch, du hörst dich schon an wie die alte Hexe in Osberg. Findest du nicht, dass deine Fantasie mit dir durchgeht?«
»Das hoffe ich, Mylord. Ich habe in alten Aufzeichnungen von Schlachten gelesen, dass diese Oger im Kampf kaum aufzuhalten sind. Angeblich können sie selbst nach tödlichen Verwundungen noch minutenlang weiterkämpfen. Sie mähen alles und jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellt. Sie sind dazu geboren, zu kämpfen. Eine hoffnungslose Übermacht ist für sie nur eine Herausforderung. Es heißt, sie träumen von der endlosen Schlacht, an deren Ende ihr Gott Tabal steht und sie in seine Armee der Unauslöschlichen aufnimmt.«
»Sein Ende kann er sofort haben«, sagte Felton unbeeindruckt.
Barrasch hatte seinen Schilderungen nichts hinzuzufügen. Er stellte sich in die Steigbügel seines Pferdes, um den Truppen zu zeigen, dass es weiterging. Lord Felton ritt diesmal allein an der Spitze. Ab und zu neigte er den Kopf zur Seite, in der Hoffnung, doch noch einen genaueren Blick auf diese seltsame Kreatur werfen zu können, von der Barrasch gesprochen hatte. »So ein Unfug, ein Oger, ausgebildet und furchtlos, eine Art Ritter Tabals. Alle Kreaturen Tabals sind Feiglinge«, murmelte Lord Felton, für niemand anderen hörbar, in sein Visier.
Etwas, das auch niemand hörte, waren die zwei Worte, die der Oger oben in den Felsen murmelte: »Zu wenige.«
Zwei weitere Tage vergingen, ohne dass sie den Feind wieder zu Gesicht bekamen. Barrasch und Lord Felton redeten wenig miteinander und wenn, dann nur das Allernötigste. Jeder von ihnen wartete darauf, dass sich die Theorien des anderen zerschlugen. Aber noch wichtiger als Recht zu bekommen schien ihnen, endlich einem greifbaren Gegner gegenüberzustehen. Kurz bevor Lord Felton den Befehl zum Rasten geben wollte, kehrte ein Späher aus dem Norden des Gebirges zurück. Er berichtete von einem Feuer, fünf Meilen voraus. Ein großes Feuer, das auf ein Lager schließen ließ. Keines, wie es von ein paar Jägern gemacht würde oder von einer kleineren Karawane. Ein Feuer, groß genug, um zu zeigen: Wir haben keine Angst.
Barrasch und zwei Späher wurden abgestellt, um das Lager auszukundschaften.
»Lord Felton, das Lager ist ein Heerlager. Menschen aus Turmstein«, berichtete der Berater bei seiner Rückkehr. »Sie sind fast vierhundert Mann stark. Ich konnte nicht erkennen, unter wessen Führung sie stehen, aber es scheinen reguläre Truppen zu sein.« Barrasch blickte Lord Felton an und wartete auf eine Reaktion. Aber es kam keine. Lord Felton saß einfach nur da und starrte zu Boden. Dann blickte er auf und sah seinem Hauptmann starr ins Gesicht. »Und?«
»Außerdem haben wir Spuren gefunden, nördlich von ihnen, Orkspuren, und Spuren von Kinderfüßen.«
»Anscheinend ist Osberg nicht die einzige Stadt, die überfallen wurde«, murmelte Lord Felton, ohne eine Gemütsregung zu zeigen. Die scheinbare Kühle, die er oft an den Tag legte, überraschte Barrasch immer wieder aufs Neue. Die Entscheidungen, die sein Herr dann aber traf, zeugten von seiner Besonnenheit.
»Haben sie euch bemerkt?«
Barrasch neigte den Kopf zur Seite und verzog die Mundwinkel.
»Haben sie vielleicht Späher ausgesandt?«, erkundigte sich Lord Felton.
»Ja, drei Stück«, entgegnete Barrasch. »Blind wie die Maulwürfe, taub wie Würmer und so laut wie eine Herde Rindviecher. Sie kommen aus dem Landesinneren. Sie kennen den Gegner nicht. Sie sind schlecht ausgebildet und undiszipliniert.«
»Ja, da hast du Recht, aber momentan scheinen sie doch das gleiche Ziel zu verfolgen.«
»Ein ähnliches Ziel«, berichtigte Barrasch.
»Wir werden morgen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Ich hoffe,
Weitere Kostenlose Bücher