Die Operation
massiver und mit Stacheldraht gekrönter Zaun verlor sich in beide Richtungen im Kiefernwald. Auf der Beifahrerseite befand sich ein kleines Häuschen. Ein uniformierter Wachmann mit Pistolenhalfter an der Seite, einer militärischen Kopfbedeckung mit Visier sowie Pilotensonnenbrille trat heraus. Er hielt ein Schreibbrett in der Hand. Daniel brachte den Wagen zum Stehen, während Stephanie das Fenster herunterließ.
Der Wachmann beugte sich herunter und blickte Daniel über Stephanies Schoß hinweg an. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?« Seine geschäftsmäßige Stimme verriet keinerlei Emotionen.
»Wir sind Dr. D’Agostino und Dr. Lowell«, sagte Stephanie. »Wir haben eine Verabredung mit Dr. Wingate.«
Der Wachmann warf einen Blick auf sein Schreibbrett und legte kurz den Finger an den Helm. Dann kehrte er in sein Häuschen zurück. Einen Augenblick später rollte das Tor wie eine Schiebetür zur Seite. Daniel fuhr weiter.
Es dauerte noch einmal ein paar Minuten, bis die Klinik in Sichtweite war. Der zweistöckige, postmoderne, U-förmige Komplex lag eingebettet zwischen sorgfältig beschnittenen Büschen und blühenden Bäumen. Er bestand aus drei Gebäuden, die durch überdachte Arkadengänge miteinander verbunden waren. Jedes Gebäude war mit weißem Kalkstein verkleidet. Die Dächer bestanden aus weißen Betonziegeln, während die Giebeldreiecke mit fantasievollen Muschelmotiven verziert waren, die an einen antiken griechischen Tempel erinnerten. Zwischen den doppelt verglasten Fenstern an den Seitenfronten jedes Gebäudes waren vereinzelt Gitter befestigt, an deren Fuß sich jeweils junge, farbenprächtige Bougainvilleen daranmachten, himmelwärts zu klettern.
»Meine Güte!«, rief Stephanie. »Damit habe ich nicht gerechnet. Das ist ja herrlich. Hier sieht es eher nach einem Erholungsheim als nach einer reproduktionsmedizinischen Klinik aus.«
Die Zufahrt führte zu einem Parkplatz vor dem Hauptgebäude, dessen Eingang von einer Säulenhalle markiert wurde. Die gedrungenen Säulen verjüngten sich zur Mitte hin auf übertriebene Weise und waren mit einfachen dorischen Kapitellen gekrönt.
»Ich hoffe, sie haben noch ein bisschen Geld für die Laborausstattung übrig gelassen«, bemerkte Daniel. Er stellte ihren gemieteten Mercury Marquis zwischen etlichen neuen BMW-Kabrios ab. Ein paar Plätze weiter standen zwei Limousinen, an deren vorderen Stoßstangen rauchend und plaudernd die beiden livrierten Fahrer lehnten.
Daniel und Stephanie stiegen aus ihrem Wagen und blieben kurz stehen, um den in der gleißenden bahamaischen Sonne flirrenden Gebäudekomplex zu betrachten. »Ich hatte schon davon gehört, dass das Geschäft mit der Reproduktionsmedizin lukrativ ist«, meinte Daniel, »aber dass es so lukrativ ist, hätte ich nicht gedacht.«
»Ich auch nicht«, meinte Stephanie. »Aber ich frage mich, wie viel sie davon der Feuerversicherung zu verdanken haben, die sie nach ihrer Flucht aus Massachusetts noch abkassiert haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber egal, woher sie das Geld haben. Angesichts der Kosten im Gesundheitswesen passen Überfluss und Medizin einfach nicht zusammen. Irgendetwas stimmt hier nicht, und plötzlich habe ich wieder schwere Bedenken dagegen, dass wir uns mit diesen Leuten einlassen.«
»Wir sollten uns nicht von unseren Vorurteilen und unserer Selbstgerechtigkeit leiten lassen«, warnte Daniel. »Wir sind nicht hierher gekommen, um einen sozialen Kreuzzug zu führen. Wir sind hierher gekommen, um Butler zu behandeln. Das ist alles.«
Da öffnete sich die hohe, mit Bronze überzogene Eingangstür und ein groß gewachsener, sonnengebräunter Mann mit silbergrauem Haar erschien. Er trug einen langen, weißen Arztkittel. Er winkte ihnen zu und rief in einem hohen, singenden Tonfall: »Willkommen!«
»Zumindest werden wir persönlich begrüßt«, sagte Daniel. »Also los! Und behalte deine Bedenken für dich.«
Daniel und Stephanie setzten sich in Bewegung, trafen sich vor dem Auto und gingen gemeinsam auf den Eingang zu. »Ich hoffe, das ist nicht Spencer Wingate«, flüsterte Stephanie.
»Wieso denn?«, flüsterte Daniel zurück.
»Weil er so gut aussieht, dass er glatt in einer Seifenoper mitspielen könnte.«.
»Oh, das hatte ich ganz vergessen! Du wolltest ja, dass er klein und dick ist und eine Warze auf der Nase hat.«
»Ganz genau.«
»Na ja, vielleicht ist er ja wenigstens Kettenraucher und hat Mundgeruch.«
»Ach, halt die Klappe!«
Daniel und Stephanie
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