Die Operation
nämlich, ob Daniel vielleicht unfähig oder unwillig war, ihr die emotionale Unterstützung zu geben, die sie nötig hatte - speziell in anstrengenden Zeiten und völlig unabhängig davon, was die Ursache für den Stress war und wer welchen Fehler gemacht hatte.
Stephanie hatte Daniels Vorschläge alle wortwörtlich akzeptiert, das konnte es also nicht sein. Sie hatte ihren Bruder nicht angerufen, um ihn mit dem Vorfall zu konfrontieren, obwohl sie nichts lieber getan hätte. Und im Verlauf der relativ häufigen Telefonate mit ihrer Mutter hatte sie deutlich gemacht, dass sie und Daniel zum Arbeiten in Nassau waren und dass sie von dieser Arbeit vollständig in Beschlag genommen wurden, was absolut der Wahrheit entsprach. Zur Unterstreichung des Gesagten hatte sie noch hinzugefügt, dass sie noch nicht einmal zum Baden am Strand gewesen waren, was ebenfalls der Wahrheit entsprach. Und sie hatte vielfach betont, dass sie bald fertig seien und um den fünfundzwanzigsten März herum nach Hause kommen würden. Dann werde auch die Firma in einem finanziell stabilen Zustand sein. Ihren Bruder hatte sie ganz bewusst nicht erwähnt, bis zum gestrigen Tag, als sie schließlich der Versuchung nachgegeben hatte. »Hat Tony nach mir gefragt?«, hatte sie ihre Mutter so beiläufig wie irgend möglich gefragt.
»Natürlich, Liebes«, hatte Thea geantwortet. »Dein Bruder macht sich große Sorgen um dich und fragt ständig nach dir.«
»Was hat er genau gesagt?«
»Was er genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Du fehlst ihm. Er möchte einfach wissen, wann du nach Hause kommst.«
»Und was antwortest du ihm dann?«
»Ich erzähle ihm immer das, was du mir erzählt hast. Wieso? Soll ich ihm etwas anderes sagen?«
»Natürlich nicht. Du kannst ihm ausrichten, dass wir in weniger als zwei Wochen nach Hause kommen, und dass ich es kaum erwarten kann, ihn wiederzusehen. Und sag ihm außerdem, dass unsere Arbeit hervorragende Fortschritte macht.«
Stephanie war in vielerlei Hinsicht dankbar dafür, dass sie und Daniel so viel Arbeit hatten. So hatte sie weniger Gelegenheit, sich mit schmerzhaften Gefühlen zu quälen oder an der Richtigkeit der Behandlung Butlers zu zweifeln. Ihre Bedenken in der ganzen Angelegenheit hatten sich nach dem Anschlag auf Daniel und dadurch, dass sie die Charakterlosigkeit der Wingate-Betreiber schweigend ertragen musste, noch verstärkt. Paul Saunders war dabei mit Abstand der Schlimmste. Ihrer Einschätzung nach war er gewissenlos, bar jeder noch so rudimentären Ethik und dumm. Die gesammelten Resultate der Wingate-Forschungen zur Stammzellentherapie, mit denen er sich so gebrüstet hatte, waren nichts weiter als ein schlechter Witz, eine bloße Sammlung von Fallbeschreibungen mit unterschiedlichen Ausgängen. Von wissenschaftlicher Methodik keine Spur, und das Erschreckendste daran war, dass Paul das entweder nicht erkannte oder dass es ihm egal war.
Das mit Spencer Wingate war eine Sache für sich, aber er war eher ein Ärgernis, während ihr Paul Saunders als verrückter Wissenschaftler Angst einjagte. Trotzdem, Stephanie hätte sich nur äußerst ungern ohne Begleitung zu Spencer nach Hause gewagt, wohin er sie immer wieder aufs Neue einlud. Das Problem war, dass seine Lüsternheit von einem Ego unterfüttert war, das einfach nicht begreifen konnte, warum seine Annäherungsversuche abgelehnt wurden. Zu Anfang hatte Stephanie noch versucht, ihr Bedauern halbwegs höflich zu formulieren, aber mit der Zeit musste sie immer eindeutiger werden, besonders da Daniel so gleichgültig wirkte. Spencer hatte etliche seiner unverhohlen eindeutigen Einladungen in Daniels Gegenwart ausgesprochen, ohne dass er irgendwie darauf reagiert hätte.
Als hätten der Charakter und das Verhalten dieser reproduktionsmedizinischen Ketzer nicht ausgereicht, um ihre Tätigkeit in der Klinik moralisch in Frage zu stellen, kam auch noch die Sache mit den menschlichen Eizellen hinzu. Sie versuchte vorsichtig, Erkundigungen über deren Herkunft einzuziehen, stieß aber überall auf taube Ohren, außer bei der Laborantin Mare. Sie war zwar auch nicht besonders entgegenkommend, rückte aber zumindest damit heraus, dass die Fortpflanzungszellen aus der Eierkammer im Keller kämen, die von Cindy Drexler geführt werde. Als Stephanie wissen wollte, was die Eierkammer genau war, sagte Mare nichts mehr und verwies sie an die Laborleiterin Megan Finnigan. Leider hatte Megan aber bereits Pauls Äußerung wiederholt, dass die
Weitere Kostenlose Bücher