Die Operation
Cindy Drexler zwischen zwölf und eins zu Mittag aßen. Das Mittagessen spielte eine wichtige Rolle im Klinikalltag, weil sich hier alle Mitarbeiter begegnen konnten. Stephanies erster Gedanke war zu behaupten, sie müsste den Aktivierungsprozess der elften Eizelle überwachen, aber diese Idee ließ sie schnell wieder fallen - Daniel würde nur misstrauisch werden. Er wusste, dass die Eizelle, wenn sie einmal im zweiten Medium lag, sechs Stunden lang ungestört im Inkubator verbleiben musste.
Stephanie brauchte eine andere Ausrede, aber es fiel ihr beim besten Willen nichts ein, bis sie schließlich auf die Idee mit dem Handy kam. Besonders nach dem Überfall auf Daniel hatte sie geradezu zwanghaft darauf geachtet, es immer bei sich zu tragen, und Daniel wusste das. Es gab dafür etliche Gründe. Einer - und das war keineswegs der unbedeutendste - war der, dass sie ihre Mutter gebeten hatte, sie lieber auf dem Handy als im Hotel anzurufen. Aber da sie erst heute Früh mit ihrer Mutter gesprochen hatte und sich sicher sein konnte, dass in den nächsten Stunden keine katastrophale gesundheitliche Entwicklung zu erwarten war, hatte Stephanie keine Bedenken, während der nächsten halben Stunde nicht erreichbar zu sein. Nach einem schnellen Blick in Richtung ihres winzigen Büros, um sicherzustellen, dass Daniel sie nicht gerade beobachtete, holte Stephanie ihr kleines Motorola-Telefon aus der Tasche, schaltete es aus und legte es auf das Regal mit den Reagenzgläsern oberhalb des Labortischs.
Zufrieden mit dem gefassten Plan wandte Stephanie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Aktivierungsprozess zu. Noch dreißig Sekunden, dann musste die Eizelle von einem Medium ins nächste befördert werden.
»Und, wie sieht’s aus?«, fragte Daniel, nachdem er ohne Laborkittel wieder aufgetaucht war. »Bist du so weit?«
»Noch ein paar Minuten. Ich will eben noch das Ei umtopfen und in den Inkubator stellen, dann können wir losgehen.«
»Hört sich gut an«, antwortete Daniel. Während er wartete, stellte er sich vor den Inkubator und schaute in die anderen Behälter, die zum Teil schon seit fünf Tagen darin standen. »Ein paar davon sind vielleicht schon heute Nachmittag so weit, dass wir die ersten Stammzellen entnehmen können.«
»Das habe ich auch gerade gedacht«, meinte Stephanie. Vorsichtig trug sie die erneuerte Eizelle, die nun in einem anderen Medium lag, zum Inkubator und stellte sie neben die anderen.
Kurt Hermann ließ die Füße auf völlig untypische Weise plötzlich und unkontrolliert zu Boden plumpsen, nachdem sie vorher auf der Ablage des Videoüberwachungsraums gelegen hatten. Gleichzeitig setzte er sich ruckartig kerzengerade auf, sodass sein Schreibtischstuhl ein kleines Stück zurückrollte.
Dann hatte er seine durch jahrelanges Training der asiatischen Kampfkünste erworbene Gelassenheit wiedererlangt. Langsam und bedächtig schob er sich näher an den Bildschirm, den er seit einer Stunde im Blick hatte. Er traute seinen Augen nicht. Es war sehr schnell gegangen, aber es sah so aus, als hätte Stephanie D’Agostino gerade ihr Handy, hinter dem Kurt schon seit anderthalb Wochen her war, aus der Tasche geholt und absichtlich hinter ein paar Reagenzgläser auf dem Regal über ihrem Labortisch gelegt. Es sah fast so aus, als wollte sie es verstecken.
Mit Hilfe des Knopfes auf dem Joystick, mit dem er die Minikamera bediente, zoomte Kurt sich näher heran. Die Kamera blieb direkt auf den Gegenstand gerichtet, den er voller Hoffnung für das Telefon hielt. Er hatte Recht! Hinter einer Flasche mit Salzsäure ragte die Spitze der schwarzen Plastikhülle hervor, sodass sie gerade noch zu erkennen war.
Verwirrt durch diese unerwartete, aber viel versprechende Entwicklung zoomte Kurt wieder zurück und entdeckte, dass Stephanie aus dem Blickwinkel der Kamera verschwunden war. Mit Hilfe des Joysticks schwenkte Kurt den Raum ab und entdeckte Stephanie und Daniel vor einem der Inkubatoren. Er drehte den Ton lauter und versuchte, jedes ihrer Worte mitzuhören, falls sie das Telefon irgendwie erwähnen sollte, aber sie verlor kein Wort darüber. Sie sprachen weiter über das unmittelbar bevorstehende Mittagessen. Minuten später hatten sie das Labor verlassen.
Kurts Blick wanderte zu dem Monitor direkt über demjenigen, auf den er gerade eben geschaut hatte. Er sah die beiden das Gebäude Nummer eins verlassen und über den zentralen Innenhof auf das Gebäude Nummer drei zugehen.
Während der Bauarbeiten hatte
Weitere Kostenlose Bücher