Die Operation
Paul Saunders seinem Sicherheitschef bezüglich der Sicherungsmaßnahmen freie Hand gelassen. Dadurch würde sich, so hoffte er, in Zukunft eine Katastrophe wie die in Massachusetts verhindern lassen.
Damals hatten sich ein paar Schnüffler Zugang zu der zentralen Datenbank der Klinik verschafft, waren ohne Erlaubnis in den Raum mit dem zentralen Rechner eingedrungen und anschließend unerkannt entkommen. Aufgrund dieser Erfahrung hatte Kurt dafür gesorgt, dass das neue Gebäude mit Kameras und Mikrofonen vollständig überwacht werden konnte. Die Geräte waren abhörtechnisch auf dem allerneuesten Stand, ließen sich über einen Computer steuern und waren äußerst unauffällig angebracht. Nicht einmal Paul wusste, dass Kurt auch in verschiedenen Steckdosen der Toiletten, der Gästewohnungen und in einem Großteil der Personalwohnungen Kameras und Mikrofone versteckt hatte. Auf den Monitoren im Videoüberwachungsraum, der direkt von Kurts Büro abging, konnte man alles beobachten, und Kurt riskierte abends gerne ab und zu den einen oder anderen Blick, auch wenn es aus sicherheitstechnischen Gründen vielleicht nicht notwendig gewesen wäre. Aber natürlich, so hätte Kurt dagegenhalten können, war es für eine Institution wie die Wingate Clinic wichtig zu wissen, wer mit wem schlief.
Kurt blieb bei Daniel und Stephanie, bis sie Gebäude Nummer drei betreten hatten. Sein Blick war fast ausschließlich auf Stephanie gerichtet. Im Verlauf der letzten anderthalb Wochen war es ihm regelrecht zur Sucht geworden, sie zu beobachten, obwohl sie sehr zwiespältige Gefühle in ihm weckte. Er fühlte sich durch ihre natürliche Sinnlichkeit gleichermaßen angezogen und abgestoßen. Wie bei Frauen ganz allgemein bewunderte er ihre Schönheit und erkannte gleichzeitig die Verführerin in ihr. Kurt hatte sie beim Telefonieren im Labor beobachtet, und obwohl er meistens hören konnte, was sie sagte, blieben ihm die Worte ihrer Gesprächspartner verborgen. Daher hatte er Paul Saunders, trotz seines Versprechens, auch noch nicht den Namen des Patienten nennen können, und Kurt brach nur sehr ungern ein Versprechen.
Kurts Frauenbild war durch die Königin aller Verräterinnen geprägt und in Stein gemeißelt worden - seine Mutter. Sie und er hatten eine sehr enge Beziehung gehabt, bedingt durch seinen zurückgezogen lebenden, strengen Vater, der von seiner Frau und seinem Sohn Vollkommenheit verlangt, aber nur Versagen wahrgenommen hatte. Sein Vater war, wie später Kurt, bei einer militärischen Spezialeinheit gewesen und hatte, wie Kurt, der schließlich doch in seine Fußstapfen getreten war, eine Ausbildung für Geheimaufträge mit der Lizenz zum Töten erhalten. Aber als Kurt dreizehn war, kam sein Vater bei einem verdeckten Einsatz in Kambodscha während der letzten Wochen des Vietnamkrieges ums Leben. Seine Mutter reagierte darauf wie eine aus dem Käfig befreite Turteltaube. Ohne auf Kurts Gefühlschaos aus Trauer und Erleichterung Rücksicht zu nehmen, stürzte sie sich hektisch von einer Affäre in die nächste und machte ihn durch die dünnen Kasernenwände hindurch zum leidenden Ohrenzeugen ihrer Intimitäten. Nach etlichen Monaten setzte Kurts Mutter ihrem wilden Treiben die Krone auf, indem sie einen verweichlichten Versicherungsvertreter heiratete, den Kurt nicht ausstehen konnte. Kurt erkannte, dass alle Frauen, besonders die attraktiven, wie die vergötterte Mutter seiner Jugend waren, die sich verschworen hatten, ihn anzulocken und zu verführen, ihn auszusaugen und dann zu verlassen.
Sobald Daniel und Stephanie im Inneren von Gebäude Nummer drei verschwunden waren, wanderte Kurts Blick automatisch zu Monitor zwölf und wartete, bis sie in der Cafeteria auftauchten. Als sie sich in die Schlange vor der Theke mit den warmen Gerichten einreihten, sprang Kurt auf und ging in sein Büro. Er nahm sein leichtes, schwarzes Seidenjackett von der Lehne des Schreibtischsessels und streifte es über sein schwarzes T-Shirt. Das Jackett trug er, um das Pistolenhalfter zu verdecken, das er immer im Lendenwirbelbereich festgeschnallt hatte. Die Ärmel schob er bis über die Ellbogen nach oben. Dann nahm er die Schachtel mit dem Positionsmelder und der winzigen Handywanze, die er schon so lange in Stephanies Telefon einpflanzen wollte, von der Ecke seines Schreibtischs. Dazu schnappte er sich noch sein Uhrmacherwerkzeug, zu dem auch eine feine Lötlampe und eine beidäugig benutzbare Uhrmacherlupe gehörten.
Mit
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